Handlungsfähig trotz Unsicherheit beim Umgang mit KI. Ein Workshopkonzept

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Lehrende und Studierende fühlen sich bei Entscheidungen im Umgang mit generativen Technologien oft unsicher, weil die Darstellung dieser Technologien als disruptiv den Blick auf Wissen verstellt, das Sie hierfür nutzen könnten. Wir stellen deshalb das Konzept eines Workshops vor, der dazu ermutigt, sich nicht von diesem Narrativ lähmen zu lassen, und der zeigt, auf welches Wissen wir zurückgreifen können.

Workshop-Idee

Im Umgang mit generativen Technologien herrscht bei Lehrenden und Studierenden regelmäßig Unsicherheit. Dabei wird häufig gefordert, top-down Regeln zu erlassen, in der Hoffnung, dass dadurch alle Unsicherheiten beseitigt werden. Das ist in vielen Fällen weder nötig noch sinnvoll, denn Lehrende, Studierende und Mitarbeitende aus lehrunterstützenden Einrichtungen verfügen bereits über handlungsleitendes Wissen, das sie auf die neuen Szenarien bzw. geänderten Rahmenbedingungen anwenden können. Dies wird aber häufig vom Narrativ der disruptiven Technologie verdeckt.
Deshalb haben wir – Ulrike Lange, Nadine Lordick, Jonas Leschke, Katinka Netzer, Julia Philipp – bei der Tagung Learning AID im September 2024 ein Workshopkonzept erprobt, bei dem genau dieses handlungsleitende Wissen bewusst gemacht werden soll. In dem Workshop bringen wir Teilnehmende darüber ins Gespräch, vor welchen Entscheidungen sie in Bezug auf generative Technologien stehen und auf welches bereits vorhandene Wissen sie für diese Entscheidungen zurückgreifen können. Der Tagungsworkshop war vor allem für lehrunterstützende Einrichtungen an Hochschulen gedacht und sollte die Teilnehmenden in ihrer Expertise bestärken. Nach der ersten Durchführung können wir uns gut vorstellen, dass sich das Format auch für eine Diskussion des Themas z. B. in einem Fachbereich, einer anderen kollegialen Runde oder mit Studierenden eignet.
Darum geht es uns
Wir beschreiben in diesem Beitrag den Workshopablauf, um Ihnen inhaltliche Anregungen zu geben und Sie an unserer Perspektive sowie den Ergebnissen teilhaben zu lassen. Wenn Sie selbst einen Workshop nach ähnlichem Konzept durchführen wollen, finden Sie hier einen kommentierten Ablaufplan. Der Workshop lässt sich auch ohne Fachexpertise moderieren und bringt Gruppen schnell miteinander ins Gespräch.

Ausgangslage: Unsicherheiten, Ambiguitätstoleranz und vorhandenes Wissen

Lehrende erkennen die Unsicherheit im Umgang mit generativer KI zum Teil zuerst bei ihren Studierenden. Das kann sich zum Beispiel so äußern, dass sich Studierende eine „Checkliste“ oder andere schriftliche Regeln zum erlaubten Umgang mit generativen Technologien wünschen. Dasselbe erleben wir in der Arbeit mit Lehrenden, die oft nach verbindlichen Regeln seitens Hochschulleitung oder Didaktikzentrum fragen.
Viele Situationen im Umgang mit generativen Technologien sind jedoch so komplex, dass allgemeine Vorgaben oder Kontrollinstrumente nur begrenzt eine Lösung sind. Wie bei anderen Themen des Lehrens, Lernens und wissenschaftlichen Arbeitens auch ist es deshalb sinnvoll, in sich und anderen die Fähigkeit zu stärken, mit Unsicherheiten und Mehrdeutigkeiten umzugehen. Hierfür ist die sogenannte Ambiguitätstoleranz notwendig, also die Fähigkeit, in der Gegenwart Uneindeutigkeiten, Mehrdeutigkeiten, Widersprüche, Unentscheidbarkeit und Vagheit auszuhalten und mit ihnen konstruktiv umzugehen (Frenkel-Brunswick, 1949). Das bedeutet auch, die Welt nicht nur in „schwarz und weiß“ zu klassifizieren, sondern die vielen Grautöne dazwischen wahrnehmen zu können. So gibt es z. B. unterschiedliche Wege, mit generativer KI in der Lehre oder beim wissenschaftlichen Arbeiten umzugehen, und die Entscheidung hängt von unterschiedlichen Faktoren wie z. B. den Lernzielen ab (Lordick, 2023).
Hilfreich zur Reflexion und letztlich Entscheidungsfindung ist es, sich vorhandenes handlungsleitendes Wissen systematisch zu vergegenwärtigen.
Wir möchten mit Formaten wie dem hier vorgestellten Workshopkonzept einen Beitrag dazu leisten, Ambiguitätstoleranz bei Lehrenden wie Studierenden weiter zu fördern und sie zu bestärken, sich auf vorhandenes Wissen zu fokussieren, statt sich im Gefühl von Unsicherheit oder Unentscheidbarkeit zu verlieren. Hochschulangehörige können ihr Handeln auf vielfältige Wissensbestände aus unterschiedlichen Wissensbereichen stützen (dazu auch Krommer, 2024). Zum Teil stammt dieses Wissen aus Bezugswissenschaften, wie den Bildungswissenschaften oder der pädagogischen Psychologie, zum Teil aus die Lehre regelnden rechtlichen Vorgaben, wie Hochschulgesetzen oder Prüfungsordnungen, und zum Teil aus Erfahrungswissen und der fachwissenschaftlichen Praxis.
Um diese Wissensbestände zu identifizieren, können Sie sich fragen, vor welchen vergleichbaren Entscheidungen Sie auch ohne Beteiligung generativer Technologien stehen und wie Sie diese Situationen gelöst haben. Drei Beispiele:
Wenn Sie bei einer studentischen Arbeit den Verdacht hatten, die Arbeit sei nicht eigenständig geschrieben worden, sondern mit der übergroßen Hilfe einer anderen Person oder gar von einem Ghostwriter, kann ein Gespräch mit dem*der Studierenden über den Entstehungsprozess oder Detailfragen zum Inhalt der Arbeit Klarheit bringen.

Bei der Entscheidung, wie Sie beim Schreiben generative Technologien nutzen können und wie Sie das kennzeichnen müssen, können z. B. Überlegungen helfen, wie Autor*innenschaft in Ihrem Fach definiert ist, was die Prinzipien guter wissenschaftlicher Praxis bedeuten und wie/ob Sie in diesem Sinne Transparenz herstellen können.

Wenn Sie entscheiden müssen, inwiefern Studierende im Rahmen einer Lehrveranstaltung generative Technologien nutzen dürfen/sollen – oder auch nicht – können Sie überlegen, was die Lernziele sind, welchen Lernwege Sie sehen und abschätzen, wie diese mit oder ohne generative Technologien aussehen können – alles hochschuldidaktische Überlegungen, die Sie auch früher schon angestellt haben.

Workshop-Konzept

Unser Ziel war es, den Teilnehmenden bewusst zu machen, auf welches bestehende Wissen sie zurückgreifen können, um in Situation, die mit generativen Technologien zu tun haben, Entscheidungen zu treffen und sich nicht von dem Narrativ der disruptiven Technologie lähmen zu lassen. Zudem wollten wir zusammen mit den Teilnehmenden Wissensbereiche identifizieren, auf die wir uns in der Auseinandersetzung mit generativen Technologien stützen können und welche wir ggf. selbst noch nicht im Fokus haben.
Jonas Leschke und Julia Phillip in einem Workshop der Learning AID 2024.
Julia Philipp (r) und Jonas Leschke (l) sammeln die Wissensbereiche während der Arbeitsphase im Workshop auf der Learning AID 2024 | © RUB, Marquardt

Fallbeispiele sammeln

Nach einer kurzen Einführung haben die Teilnehmenden individuell gesammelt, vor welchen Entscheidungssituationen mit Bezug zu generativen Technologien im Lehr-Lern-Kontext sie in letzter Zeit standen und welche sie antizipieren. Dies konnten kleine und große Entscheidungen im Arbeitsalltag sein, für die es (noch) keine „Regelung von außen“ gab. Diese Situationen wurden im Plenum zusammengetragen und für alle sichtbar aufgeschrieben.

Handlungsleitende Wissensbereiche sammeln bzw. vorstellen

Im nächsten Schritt sammelten wir mit der Gruppe Wissensbereiche, die uns für Entscheidungen in den genannten und ähnlichen Situationen zur Verfügung stehen, und visualisierten diese auf einem zweiten Plakat. Ziel dieser Workshopphase war nicht, ein vollständiges Bild zu entwerfen, sondern Anregungen für die folgende Fallarbeit zu geben.

Folgende Wissensbereiche wurden während der Arbeitsphase zusammengetragen:

  • Datenschutz
  • Bildungsforschung
  • Hochschuldidaktik
  • Prüfungs- und Hochschulrecht
  • Beratungshaltung
  • Fachexpertise
  • Personalrecht
  • Erkenntnisse Change Management
  • Organisationsentwicklung
  • IT der Hochschule (inkl. Lizenzrecht)
  • Urheberrecht
  • Technisches Wissen
  • Andere ‚Krisen‘ (historisches Wissen)

Fallarbeit: Wissensbereiche auf Entscheidungen anwenden und konkretisieren

Die Workshop-Teilnehmenden konnten sich für einen der gesammelten Fälle entscheiden und bildeten für die Bearbeitung Kleingruppen mit fünf bis acht Personen. Im ersten Schritt der Gruppenarbeit sammelten sie konkrete Wissensbereiche, die sie für eine Entscheidung in dem gewählten Fall heranziehen konnten, im zweiten diskutierten sie Lösungsvorschläge für das Problem.

Die Ergebnisse der Gruppenarbeit wurden auf vorstrukturierten Plakaten visualisiert und anschließend reihum im Plenum vorgestellt. Hier machte sich die Zeitbegrenzung erneut bemerkbar, denn zu jedem Themenbereich gab es Diskussionsbedarf und weitere Anregungen aus dem Plenum.

Ergebnisse der Fallarbeit

Im Workshop wurden folgende Fragestellungen zu den zuvor gesammelten Fallbeispielen bearbeitet und dafür die aufgeführten Wissensbereichen genutzt: (redaktionell bearbeitet)

Fazit

Der Workshop hat für uns neben dem inhaltlichen Ertrag an Fallbeispielen und Lösungsdiskussionen zwei Dinge gezeigt: Alle Teilnehmenden hatten hohen Diskussions- und Klärungsbedarf zu komplexen Entscheidungssituationen in Bezug auf textgenerierende Technologien in ihrem beruflichen Alltag. Und sie konnten für die Diskussion von Lösungsideen auf unterschiedlichste Wissensbereiche zurückgreifen.

Ganz grundsätzlich hat uns die Durchführung des Workshops in der Grundannahme bestätigt, dass die Darstellung von generativen Technologien in Bezug auf die Hochschullehre als disruptiv häufig nicht angemessen ist, sondern sich auch wesentliche Kontinuitäten herstellen lassen. Sicherlich müssen die veränderten Rahmenbedingungen aktiv reflektiert werden, allerdings können für diese Reflexion und die Lösungsfindung vielfältige bekannte Wissensbestände und Erfahrungen herangezogen werden.

Die Autor*innen dieses Artikels:

Dr. Ulrike Lange

Dr. Ulrike Lange

Schreibzentrum


+49 234 32 22663
FNO 02/33
ulrike.lange@rub.de
Zur Person
Schreibberatung & -gruppen, Plagiatsprävention, Betreuen
Jonas Leschke

Jonas Leschke

Leitung der Stabsstelle Strategische Lehrprojekte


+49 234 32 26416
FNO 02/79
jonas.leschke@rub.de
Zur Person
Julia Philipp

Julia Philipp

Hochschuldidaktik


+49 234 32 27489
FNO 02/85
j.becker@rub.de
Zur Person
Prüfungen, LEHRELADEN, Lehrevaluation, "Wissen, was zählt"
Weitere Anregungen zu Entscheidungen im Umgang mit generativen Technologien:
Wenn Sie sich zur Learning AID 2025 anmelden wollen, finden Sie alle Informationen hier . Eine Anmeldung ist noch bis zum 15.8.2025 möglich.

Wenn Sie in Ihrem Fachbereich oder in einem anderen Kontext einen Workshop nach dem hier vorgestellten Konzept durchführen wollen, unterstützen wir Sie gerne bei der Vorbereitung bzw. Moderation.

Informationen zum Umgang mit KI in der Lehre finden Sie in diesem Artikel in Lehreladen und in diesem Blog-Artikel .

Wir beraten Sie auch gerne persönlich: Wenden Sie sich bei Fragen zum Umgang mit generativen Technologien beim Schreiben und in der Lehre an Nadine Lordick .

Eine Palette unterschiedlicher Möglichkeiten, die Nutzung generativer Technologien in studentischen Texten zu dokumentieren, finden Sie hier .
Bildnachweis: Titelbild: ZfW Foto: © RUB, Marquardt
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Ulrike Lange
Mitarbeiterin am Schreibzentrum im ZfW. Arbeitsschwerpunkte: Schreibberatung und Schreibveranstaltungen, Plagiatsprävention, Mehrsprachigkeit.

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