Wir beschreiben in diesem Beitrag den Workshopablauf, um Ihnen inhaltliche Anregungen zu geben und Sie an unserer Perspektive sowie den Ergebnissen teilhaben zu lassen. Wenn Sie selbst einen Workshop nach ähnlichem Konzept durchführen wollen, finden Sie
hier einen kommentierten Ablaufplan. Der Workshop lässt sich auch ohne Fachexpertise moderieren und bringt Gruppen schnell miteinander ins Gespräch.
Ausgangslage: Unsicherheiten, Ambiguitätstoleranz und vorhandenes Wissen
Lehrende erkennen die Unsicherheit im Umgang mit generativer KI zum Teil zuerst bei ihren Studierenden. Das kann sich zum Beispiel so äußern, dass sich Studierende eine „Checkliste“ oder andere schriftliche Regeln zum erlaubten Umgang mit generativen Technologien wünschen. Dasselbe erleben wir in der Arbeit mit Lehrenden, die oft nach verbindlichen Regeln seitens Hochschulleitung oder Didaktikzentrum fragen.
Viele Situationen im Umgang mit generativen Technologien sind jedoch so komplex, dass allgemeine Vorgaben oder Kontrollinstrumente nur begrenzt eine Lösung sind. Wie bei anderen Themen des Lehrens, Lernens und wissenschaftlichen Arbeitens auch ist es deshalb sinnvoll, in sich und anderen die Fähigkeit zu stärken, mit Unsicherheiten und Mehrdeutigkeiten umzugehen. Hierfür ist die sogenannte Ambiguitätstoleranz notwendig, also die Fähigkeit, in der Gegenwart Uneindeutigkeiten, Mehrdeutigkeiten, Widersprüche, Unentscheidbarkeit und Vagheit auszuhalten und mit ihnen konstruktiv umzugehen (Frenkel-Brunswick, 1949). Das bedeutet auch, die Welt nicht nur in „schwarz und weiß“ zu klassifizieren, sondern die vielen Grautöne dazwischen wahrnehmen zu können. So gibt es z. B. unterschiedliche Wege, mit generativer KI in der Lehre oder beim wissenschaftlichen Arbeiten umzugehen, und die Entscheidung hängt von unterschiedlichen Faktoren wie z. B. den Lernzielen ab (Lordick, 2023).
Hilfreich zur Reflexion und letztlich Entscheidungsfindung ist es, sich vorhandenes handlungsleitendes Wissen systematisch zu vergegenwärtigen.
Wir möchten mit Formaten wie dem hier vorgestellten Workshopkonzept einen Beitrag dazu leisten,
Ambiguitätstoleranz bei Lehrenden wie Studierenden weiter zu fördern und sie zu bestärken, sich auf vorhandenes Wissen zu fokussieren, statt sich im Gefühl von Unsicherheit oder Unentscheidbarkeit zu verlieren. Hochschulangehörige können ihr Handeln auf vielfältige Wissensbestände aus unterschiedlichen Wissensbereichen stützen (dazu auch Krommer, 2024). Zum Teil stammt dieses Wissen aus Bezugswissenschaften, wie den Bildungswissenschaften oder der pädagogischen Psychologie, zum Teil aus die Lehre regelnden rechtlichen Vorgaben, wie Hochschulgesetzen oder Prüfungsordnungen, und zum Teil aus Erfahrungswissen und der fachwissenschaftlichen Praxis.
Um diese Wissensbestände zu identifizieren, können Sie sich fragen, vor welchen vergleichbaren Entscheidungen Sie auch ohne Beteiligung generativer Technologien stehen und wie Sie diese Situationen gelöst haben. Drei Beispiele:
Wenn Sie bei einer studentischen Arbeit den Verdacht hatten, die Arbeit sei nicht eigenständig geschrieben worden, sondern mit der übergroßen Hilfe einer anderen Person oder gar von einem Ghostwriter, kann ein Gespräch mit dem*der Studierenden über den Entstehungsprozess oder Detailfragen zum Inhalt der Arbeit Klarheit bringen.
Bei der Entscheidung, wie Sie beim Schreiben generative Technologien nutzen können und wie Sie das kennzeichnen müssen, können z. B. Überlegungen helfen, wie Autor*innenschaft in Ihrem Fach definiert ist, was die Prinzipien guter wissenschaftlicher Praxis bedeuten und wie/ob Sie in diesem Sinne Transparenz herstellen können.
Wenn Sie entscheiden müssen, inwiefern Studierende im Rahmen einer Lehrveranstaltung generative Technologien nutzen dürfen/sollen – oder auch nicht – können Sie überlegen, was die Lernziele sind, welchen Lernwege Sie sehen und abschätzen, wie diese mit oder ohne generative Technologien aussehen können – alles hochschuldidaktische Überlegungen, die Sie auch früher schon angestellt haben.
Unser Ziel war es, den Teilnehmenden bewusst zu machen, auf welches bestehende Wissen sie zurückgreifen können, um in Situation, die mit generativen Technologien zu tun haben, Entscheidungen zu treffen und sich nicht von dem Narrativ der disruptiven Technologie lähmen zu lassen. Zudem wollten wir zusammen mit den Teilnehmenden Wissensbereiche identifizieren, auf die wir uns in der Auseinandersetzung mit generativen Technologien stützen können und welche wir ggf. selbst noch nicht im Fokus haben.
Julia Philipp (r) und Jonas Leschke (l) sammeln die Wissensbereiche während der Arbeitsphase im Workshop auf der Learning AID 2024 | © RUB, Marquardt
Nach einer kurzen Einführung haben die Teilnehmenden individuell gesammelt, vor welchen Entscheidungssituationen mit Bezug zu generativen Technologien im Lehr-Lern-Kontext sie in letzter Zeit standen und welche sie antizipieren. Dies konnten kleine und große Entscheidungen im Arbeitsalltag sein, für die es (noch) keine „Regelung von außen“ gab. Diese Situationen wurden im Plenum zusammengetragen und für alle sichtbar aufgeschrieben.
Handlungsleitende Wissensbereiche sammeln bzw. vorstellen
Im nächsten Schritt sammelten wir mit der Gruppe Wissensbereiche, die uns für Entscheidungen in den genannten und ähnlichen Situationen zur Verfügung stehen, und visualisierten diese auf einem zweiten Plakat. Ziel dieser Workshopphase war nicht, ein vollständiges Bild zu entwerfen, sondern Anregungen für die folgende Fallarbeit zu geben.
Folgende Wissensbereiche wurden während der Arbeitsphase zusammengetragen:
- Datenschutz
- Bildungsforschung
- Hochschuldidaktik
- Prüfungs- und Hochschulrecht
- Beratungshaltung
- Fachexpertise
- Personalrecht
- Erkenntnisse Change Management
- Organisationsentwicklung
- IT der Hochschule (inkl. Lizenzrecht)
- Urheberrecht
- Technisches Wissen
- Andere ‚Krisen‘ (historisches Wissen)
Fallarbeit: Wissensbereiche auf Entscheidungen anwenden und konkretisieren
Die Workshop-Teilnehmenden konnten sich für einen der gesammelten Fälle entscheiden und bildeten für die Bearbeitung Kleingruppen mit fünf bis acht Personen. Im ersten Schritt der Gruppenarbeit sammelten sie konkrete Wissensbereiche, die sie für eine Entscheidung in dem gewählten Fall heranziehen konnten, im zweiten diskutierten sie Lösungsvorschläge für das Problem.
Die Ergebnisse der Gruppenarbeit wurden auf vorstrukturierten Plakaten visualisiert und anschließend reihum im Plenum vorgestellt. Hier machte sich die Zeitbegrenzung erneut bemerkbar, denn zu jedem Themenbereich gab es Diskussionsbedarf und weitere Anregungen aus dem Plenum.
Ergebnisse der Fallarbeit
Im Workshop wurden folgende Fragestellungen zu den zuvor gesammelten Fallbeispielen bearbeitet und dafür die aufgeführten Wissensbereichen genutzt: (redaktionell bearbeitet)
- Fachwissen: gute wissenschaftliche Praxis, wissenschaftliche Denk- und Arbeitsweise
- Schreibdidaktik & -beratung: epistemische Funktion des Schreibens, Prozessbegleitung, analytisches / kritisches Denken, argumentieren lernen, Fragestellung entwickeln, Aspekte des Schreibprozesses, Recherchekompetenz
- Recht
- Erfahrungswissen
- Bildungsforschung
- gute wissenschaftliche Praxis
- Schreibdidaktik
- Prüfungsordnung
- Fachexpertise
- Hochschuldidaktik
- technisches Wissen
- Didaktik
- technische Hintergründe
- Recht
Der Workshop hat für uns neben dem inhaltlichen Ertrag an Fallbeispielen und Lösungsdiskussionen zwei Dinge gezeigt: Alle Teilnehmenden hatten hohen Diskussions- und Klärungsbedarf zu komplexen Entscheidungssituationen in Bezug auf textgenerierende Technologien in ihrem beruflichen Alltag. Und sie konnten für die Diskussion von Lösungsideen auf unterschiedlichste Wissensbereiche zurückgreifen.
Ganz grundsätzlich hat uns die Durchführung des Workshops in der Grundannahme bestätigt, dass die Darstellung von generativen Technologien in Bezug auf die Hochschullehre als disruptiv häufig nicht angemessen ist, sondern sich auch wesentliche Kontinuitäten herstellen lassen. Sicherlich müssen die veränderten Rahmenbedingungen aktiv reflektiert werden, allerdings können für diese Reflexion und die Lösungsfindung vielfältige bekannte Wissensbestände und Erfahrungen herangezogen werden.
Frenkel-Brunswick, E. (1949). Intolerance of ambiguity as an emotional and perceptual personality variable : interrelationships between perception and personality: a symposium, pt. 1. Journal of personality. Vol. 18, No. 1, September, 1949, 108-143.
Graham, S., Kiuhara, S. A., & MacKay, M. (2020). The Effects of Writing on Learning in Science, Social Studies, and Mathematics: A Meta-Analysis. Review of Educational Research, 90(2), 179-226. https://doi.org/10.3102/0034654320914744
Hattie, J. (2023). Visible learning: The sequel: A synthesis of over 2,100 meta-analyses relating to achievement. Routledge.
Hoeren, T. (2023). Rechtsgutachten zum Umgang mit KI-Software im Hochschulkontext. In P. Salden & J. Leschke (Hrsg.), Didaktische und rechtliche Perspektiven auf KI-gestütztes Schreiben in der Hochschulbildung (S. 22–40). Ruhr-Universität Bochum. https://doi.org/10.13154/294-9734
Krommer, A. (2024). KI als neues neues Medium. Eine kleine Anmerkung zum aktuellen Diskurs über Künstliche Intelligenz. https://axelkrommer.com/2024/10/22/ki-als-neues-neues-medium-eine-kleine-anmerkung-zum-aktuellen-diskurs-ueber-kuenstliche-intelligenz/
Lordick, N. (2023): Textgenerierende Technologien in der Lehre. https://lehreladen.rub.de/planung-durchfuehrung-kompetenzorientierter-lehre/textgenerierende-technologien-in-der-lehre/
Schneider, M., & Preckel, F. (2017). Variables associated with achievement in higher education: A systematic review of meta-analyses. Psychological Bulletin, 143(6), 565–600. https://doi.org/10.1037/bul0000098
Die Autor*innen dieses Artikels:

Schreibberatung & -gruppen, Plagiatsprävention, Betreuen

Leitung der Stabsstelle Strategische Lehrprojekte

Prüfungen, LEHRELADEN, Lehrevaluation, "Wissen, was zählt"
Weitere Anregungen zu Entscheidungen im Umgang mit generativen Technologien:
Wenn Sie sich zur Learning AID 2025 anmelden wollen, finden Sie alle Informationen hier . Eine Anmeldung ist noch bis zum 15.8.2025 möglich.
Wenn Sie in Ihrem Fachbereich oder in einem anderen Kontext einen Workshop nach dem hier vorgestellten Konzept durchführen wollen, unterstützen wir Sie gerne bei der Vorbereitung bzw. Moderation.
Wir beraten Sie auch gerne persönlich: Wenden Sie sich bei Fragen zum Umgang mit generativen Technologien beim Schreiben und in der Lehre an Nadine Lordick .
Eine Palette unterschiedlicher Möglichkeiten, die Nutzung generativer Technologien in studentischen Texten zu dokumentieren, finden Sie hier .