9. Juli 2024
Nachhaltige Dienstreise?! Ein Selbstversuch von Bochum nach Cork
Vorüberlegungen
Von Bochum nach Cork, Südirland: Geht das ohne Flugzeug? Seit sieben Jahren arbeite ich nun an der RUB und bin seitdem dienstlich nicht geflogen. Die Reduktion von Flügen ist ein erklärtes Ziel der RUB – und ich teile es. Der Klimawandel schreitet voran, wir sehen die Folgen fast jeden Tag in den Nachrichten. Keine Reiseform schadet dem Klima so sehr wie Flugreisen.
Doch jetzt habe ich ein Problem. Die RUB setzt zur Internationalisierung auf den europäischen Hochschulverbund UNIC, und wir im Zentrum für Wissenschaftsdidaktik (ZfW) haben die Federführung in der UNIC-Gruppe der Centers for Teaching and Learning (CTL). Zehn Hochschulen in zehn Ländern, wir arbeiten an einem gemeinsamen UNIC-Center for Teaching and Learning. Ein tolles Vorhaben, das jetzt in seine zweite Förderphase startet. Viel Planung und ein Kennenlernen steht an – das geht in dieser komplexen interkulturellen Konstellation nur schwer, ohne dass man sich auch einmal persönlich trifft. Vereinbart ist also eine Klausurtagung der CTLs – und zwar am University College Cork, Südirland.
Im ZfW-Team beschäftigen wir uns schon lange mit der Frage, wie wir uns aus ökologischer Perspektive im Arbeitsalltag nachhaltig verhalten können. Wir haben einen Katalog an Maßnahmen erarbeitet, die wir im Alltag beachten möchten – viele Kleinigkeiten, angefangen vom Bio-Kaffee über Recyclingpapier im Drucker bis hin zu abschaltbaren Steckerleisten. Auch Flugverzicht ist eins unserer Ziele.
Nach Cork reisen zu müssen, stellt mich also vor einige Fragen. Zuallererst: Ich halte es tatsächlich für wichtig, durch Flugverzicht zum Klimaschutz beizutragen. Was also tun, wenn ich aber nun bei einem weit entfernten Termin dabei sein muss? Dann: Als Leiter des ZfW versuche ich, in unserem Team bei dem Thema voranzugehen. Würde es da passen, wenn ich nun ins Flugzeug steige? Schließlich schauen Mitarbeiter*innen genau hin, wie der Chef sich verhält. Andererseits, und gerade deswegen: Welche Erwartungen an sich selbst leiten meine Kolleg*innen ab, wenn ich eine so lange Reise mit öffentlichen Verkehrsmitteln unternehme? Dass sie ebenfalls nur noch so reisen können? Und wäre das so? Oder ein anderer Aspekt: Wie bewertet mein Team es, wenn ich durch meine Reiseform länger abwesend bin, als ich es im Falle eines Flugs wäre? Sicher finden das nicht alle toll. Aber auch nochmal ganz subjektiv: Möchte ich mir eine so lange Reise überhaupt zumuten, wenn es viel einfacher und familienfreundlicher ginge – nämlich direkt per Flugzeug ab Düsseldorf?
Ich finde die Entscheidung nicht einfach. Zunächst tendiere ich zum Flug. Kolleginnen machen mich auf die Fährverbindungen aufmerksam. Das bringt mich nochmal ins Grübeln. Und wenn ich drüber nachdenke – ich finde, der Verzicht auf Flüge, wann immer möglich, ist richtig. Am Ende entscheide ich mich für den Land- und Wasserweg.
Formaler Prozess
In den letzten Monaten sorgte der Wissenschaftler Gianluca Grimalda vom Kieler Institut für Weltwirtschaft für Aufsehen. Seine Rückreise von einem Forschungsaufenthalt in Papua Neuguinea trat er aus Umweltschutzgründen nicht mit dem Flugzeug, sondern mit Bus, Bahn und Schiff an. Reisedauer: über zwei Monate. Die Uni kündigte seinen Vertrag, da er Dienstpflichten nicht nachgekommen sei. Der Fall ging vor Gericht – die Uni bekam Recht.
„Kein Recht auf CO2-armes Reisen“ | TAZ vom 23.02.2024
So extrem ist mein Vorhaben nicht, aber die Reise über den Landweg dauert länger und wird auch teurer als ein Flug. Ist sie dadurch überhaupt genehmigungsfähig? Der Fall kam an der RUB offenbar noch nicht häufig vor, mein Reiseantrag geht in die genauere Prüfung. Das Ergebnis: Ja, in meinem Fall ist die Reise möglich. Denn das Reisekostenrecht sieht inzwischen nicht nur vor, eine Reise aus Perspektive der Wirtschaftlichkeit zu beurteilen, sondern auch aus Perspektive der Nachhaltigkeit. Es kommt nur darauf an, dass das Verhältnis passt. Dies ist in meinem Fall gegeben – grünes Licht von der Dienstreisestelle.
Bedeutet für mich: Jetzt wird geplant und gebucht. Ohne meine Kreditkarte und die Bereitschaft, Geld auszulegen, läuft hier nichts. Meine Reise wird – Hin- und Rückfahrt zusammengenommen – 17 Teilstrecken haben und sich auf Zug, Fähre und Bus verteilen. Die Recherche ist nicht kompliziert, ich muss dafür aber die Homepages von sechs unterschiedlichen Verkehrsträgern nutzen. Letztlich kann ich jeden Schritt der Reise im Voraus planen und buchen. Ich ahne aber, dass die Reisekostenabrechnung diesmal etwas länger dauern wird.
Hinreise
Pfingstsonntag, fünf Uhr morgens. Die Uni schläft und hat frei. Ich dagegen laufe zu Fuß in den Sonnenaufgang, zum Bahnhof. Dass zwei frei Tage dran glauben müssen, tut weh, geht aber nicht anders – sonst schaffe ich es nicht pünktlich bis Dienstag nach Cork.
Grafik erstellt mit OpenStreetMap
Ob der erste Zug fährt, ist meine größte Sorge. Leider fallen Züge der Deutschen Bahn derzeit auch manchmal aus. Heute nicht: Der Zug kommt und bringt mich nach Köln. Dort habe ich Zeit, mir Frühstück zu kaufen. Weiter geht es zum ICE nach Brüssel. In Brüssel Check-In beim Eurostar, ähnlich wie am Flughafen: Passkontrollen, das Gepäck wird durchleuchtet. Zwei Stunden sind es bis London, davon nur 20 Minuten im Tunnel unter dem Ärmelkanal – erstaunlich, wie schnell das geht. In London muss ich den Bahnhof wechseln, von St. Pancras nach Paddington – das geht mit der U-Bahn recht schnell und einfach. Mittagessen, dann von London-Paddington per Zug nach Cardiff, wo ich gegen 17 Uhr eintreffe. 12 Stunden Fahrt bis hierhin: Bis Cork schaffe ich es an diesem Tag nicht mehr und übernachte also hier.
Der nächste Morgen beginnt um 8.30 Uhr: Zu Fuß zum Bahnhof, Zug nach Swansea, umsteigen, Zug nach Fishguard. Es ist eine schöne Strecke, oft direkt am Meer entlang. Langweilig wird mir so nicht, wie auch überhaupt: Bis hierhin hatten die Züge gutes WLAN, so dass ich normal arbeiten konnte. Wäre heute nicht Pfingstmontag, sondern ein normaler Arbeitstag, würde an der Uni kaum auffallen, dass ich unterwegs bin.
Fotos: Peter Salden
Fishguard also, Westküste von Wales: Hier geht es auf die Fähre. Das auslaufende Schiff begleiten kurz zwei Delfine, die synchron durchs Wasser springen. Das jedenfalls gibt es aus dem Flugzeug nicht! Nach 3,5 Stunden ist Rosslare in Irland erreicht. Jetzt heißt es, Zähne zusammenbeißen: Von Rosslare aus fährt kein Zug nach Cork, also warte ich eine Stunde auf den Bus. Ziemlich alleine übrigens, alle anderen waren mit dem Auto auf der Fähre. Um 19 Uhr fährt der Bus los, umsteigen in Waterford, wieder 40 Minuten Pause. Um 21 Uhr geht es weiter, langsam wird es dunkel. Eine Autobahn gibt es nicht, wir fahren über Land. Ich würde nun doch gerne ankommen. Leider dann: Straßensperrung, kurz vor Cork. Der Reisebus muss sich durch einen schmalen Umweg quälen. 23.15 Uhr, wir kommen an. Jetzt noch zum Hotel, zum Glück klappt der Nacht-Check In. Um 23.45 Uhr bin ich auf meinem Zimmer. Das war lang: heute über 15 Stunde Wegzeit. Aber: Es hat geklappt! Ich bin da!
Rückreise
Vier Tage später: Die Klausurtagung ist vorbei und ich hatte die Möglichkeit, auch noch zwei freie Tage in Irland zu bleiben. Zurück geht es nun ab Dublin. Ich laufe von meinem Hotel aus durch den Hafen, erneut geht es auf die Fähre. Dann ab Holyhead an der walisischen Küste auf einem schönen Küstenweg per Zug nach Shrewsbury, dort Umsteigen nach Birmingham. Zwischenstopp zur Übernachtung.
Grafik erstellt mit OpenStreetMap
Das Reisen auf diese Weise, merke ich, ist insofern schön, dass man doch deutlich mehr von seiner Umgebung mitbekommt als auf einem kurzen Flug. Der Nachteil ist, dass in einer so langen Reisekette möglichst kein Glied reißen darf, d.h. kein Zug verspätet sein darf – gerade, wenn es darum geht, eine Fähre zu bekommen, die nicht in kurzem Takt verkehrt, oder den Eurostar mit seiner Reservierungspflicht. Die Gedanken gehen also immer schon zum nächsten Anschlusspunkt voraus – das sorgt für Stress. Doch auch auf der Rückreise klappt alles wie geplant: Am nächsten Tag geht es von Birmingham nach London, Bahnhofswechsel, Eurostar nach Brüssel. In Brüssel erreiche ich den Anschluss nach Köln und dann – na klar: Hier erarbeitet sich der Regionalexpress schnell eine Verspätung. Willkommen zu Hause – endgültig dann abends gegen 20.30 Uhr. Ich bin wieder in Bochum. Einmal Irland und zurück ohne Flugzeug – es hat funktioniert.
Foto: Peter Salden
Eine Reise für die Vorstellungskraft
Montag, zurück in Bochum, noch etwas gerädert von der Reise am Vortag gehe ich wieder zur Arbeit los. Die Westdeutsche Allgemeine schreibt über einen Superreichen, der seinen Koch mit dem Privatjet zum Einkaufen schickt. Diese Nachricht hat mir jetzt gerade noch gefehlt. Denn ich frage mich: Was bringt dem Klimaschutz mein Flugverzicht, wenn andere sich so völlig anders verhalten?
Ich lasse den Mut nicht sinken. Mein Eindruck ist, dass uns für den Klimaschutz zuweilen die Vorstellung fehlt, was möglich ist, wenn wir es wirklich wollen. Vielleicht ist das also das wichtigste Ergebnis dieser Reise: mein Verständnis dafür, was Flugverzicht bedeutet und die Erweiterung meiner Vorstellungskraft, dass man dabei (buchstäblich) weiter kommen kann, als man im ersten Moment denkt.
Apropos: Nächstes Jahr trifft unsere UNIC-Gruppe sich wieder. Als Ort ist Bilbao im Gespräch.
Haben Sie Erfahrungen mit Zug-statt-Flug-Dienstreisen? Ich freue mich über Austausch. Hinterlassen Sie gerne einen Kommentar oder sprechen Sie mich an.
Zum Schluss noch ein paar Lesetipps:
Studierende, die innerhalb des UNIC-Verbunds bei Reisen aufs Flugzeug verzichten, können das „Train instead Plane“-Programm von UNIC nutzen. Reist man im Rahmen von Erasmus Staff Mobility ohne Flugzeug, stehen höhere Reisepauschalen zur Verfügung.
Falls es Sie interessiert, wie denn die UNIC Klausurtagung inhaltlich so war, werden Sie hier fündig.
Wissen Sie eigentlich, was eine Eisbärenlichtanlage ist? Lesen Sie hier mehr über unsere Bemühungen auf dem Weg zu einem nachhaltigen Büro.
Und zu guter Letzt empfehle ich noch einen Blick auf unser Projekt Bildung für Nachhaltige Entwicklung an der RUB und die Neuigkeiten zum Beispiel zum Thema BNE-Tutoring.
Bildnachweis: Titelbild KI-geniert | Adobe Express
Alle übrigen Bilder wie angegeben
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Peter Salden
Dr. Peter Salden leitet das Zentrum für Wissenschaftsdidaktik der Ruhr-Universität Bochum.
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Vielen Dank für den Hinweis auf die Übernachtung auf der Fähre – das ist auch eine gute Möglichkeit!
Lieber Herr Salden,
ich freue mich über Ihre Reiseerfahrung ohne Flugzeug zu lesen. Ich selbst war im Juni mit einem Kollegen per Zug und Fähre in Manchester zu einem Tagungsbesuch. Wir fuhren mit dem Zug bis Rotterdam, dann über Nacht nach Hull und dort morgens weiter mit dem Zug nach Manchester. Dort trafen wir mittags zur Tagung ein. Der Vorteil dieser Reiseverbindung war die Fähre, auf der man die Nacht verbringen konnte und sich so eine Hotelübernachtung sparte. Die Reiseverbindungen haben im wesentlichen alle gut geklappt, nur im Ruhrgebiet gab es auf der Rückreise eine kleine Verzögerung.
Ich würde mich freuen, wenn mehr RUBler die Flugreisen vermeiden würden.