Wer, wie, was – Eine Fragestellung entwickeln

Screenshot "Hausarbeiten schreiben Teil 4".
Kernstück und Ausgangspunkt einer Haus- oder Abschlussarbeit sollte eine Fragestellung sein. Wir erläutern Ihnen hier, was es damit auf sich hat, woran man eine gute Fragestellung erkennen kann und vor allem, wie Sie zu einer solchen kommen können.
Worum es in dieser Serie geht
Diese Serie richtet sich an Studierende, die eine Hausarbeit schreiben (wollen). In loser Folge werden wir – die Mitarbeiter*innen des Schreibzentrums – verschiedene Aufgaben erläutern, die beim Schreiben einer Hausarbeit auf Sie zukommen, und Ihnen Anregungen dazu geben, wie Sie sie konkret bewältigen können. Wir werden uns dabei bemühen deutlich zu machen, was fachübergreifend gilt und was fachspezifisch ist. Sie sollten dennoch prüfen (oder jemanden fragen), ob das, was wir hier sagen, auch so auf Ihr Fach zutrifft.

Eine Fragestellung – Was ist das überhaupt und wozu soll sie gut sein?

In der Wissenschaft geht es darum, neues Wissen auf der Grundlage von bestehendem zu ‚schaffen‘ sowie dieses neue Wissen anderen Wissenschaftler*innen zur Verfügung und zur Diskussion zu stellen. Wissenschaftler*innen gehen dabei von einer Forschungslücke aus, also von etwas, das noch nicht oder nur unzureichend untersucht wurde, von Strittigem, von einem aktuellen Problem o. Ä. und überlegen dann, wie sie diese Forschungslücke schließen können. Aus dieser Forschungslücke entwickeln sie i. d. R. eine Fragestellung (auch Forschungsfrage), die sie dann bei ihrer Untersuchung leitet.
Ein Gebot in der Wissenschaft ist, den Prozess der Erkenntnis- bzw. Ergebnisgewinnung für andere Wissenschaftler*innen offen zu legen und damit nachvollziehbar zu machen (Stichwort: Intersubjektivität). Diese Denkbewegung – von der Forschungslücke zur Fragestellung – liegt auch wissenschaftlichen Texten zugrunde. So hat John Swales Einleitungen von englischsprachigen wissenschaftlichen Aufsätzen untersucht und ein beinahe allen zugrunde liegendes Schema identifiziert, das er als CARS-Modell („Creating A Research Space“) bezeichnet und das aus folgendem Dreischritt besteht:
  1. Einen Forschungsbereich festlegen („Establishing a territory“)
    • indem u. a. der Forschungsstand zu einem bestimmten Themengebiet dargelegt wird
  2. Eine Forschungslücke anzeigen („Establishing a niche“)
    • indem u. a. aufgezeigt wird, was noch unerforscht/zu wenig erforscht ist
  3. Die Forschungslücke besetzen („Occupying the niche“)
    • indem u. a. eine Forschungsfrage oder -these formuliert wird
Mann der Mütze trägt in nachdenklicher Pose, über ihm befinden sich drei farbige Fragezeichen.
Da man im Studium eher übt, wie ein*e Fachwissenschaftler*in zu schreiben, werden Sie als Student*in selten eine echte Forschungslücke bearbeiten, denn es geht ja eher um ein ‚so tun, als ob‘ – Ihre Hausarbeit wird höchstwahrscheinlich nicht in einer Fachzeitschrift veröffentlicht, Ihre Leser*innen sind höchstwahrscheinlich keine Fachkolleg*innen und damit trägt Ihre Hausarbeit auch höchstwahrscheinlich nicht oder sehr wenig an neuem Wissen zum Forschungsdiskurs bei. Dennoch ist es sinnvoll, auch bei einer Hausarbeit von einer Fragestellung auszugehen – und es ist auch oft gefordert. Denn eine Fragestellung wird Ihnen u. a. bei einigen Entscheidungen beim Schreiben helfen, z. B. bei der Entscheidung,
was Sie an Forschungsliteratur auswählen und lesen müssen (🠒 alles, was Ihnen bei der Beantwortung Ihrer Fragestellung hilft),

was inhaltlich in Ihren Text gehört und was nicht (🠒 nur das, was zur Beantwortung Ihrer Fragestellung beiträgt),

wie Sie Ihren Text strukturieren sollen (🠒 so, dass Leser*innen Stück für Stück alles Relevante zum Themenbereich Ihrer Fragestellung erfahren, um Ihre Antwort nachvollziehen zu können).
Wenn Sie lediglich über ein Thema schreiben und nicht eine Fragestellung bearbeiten, kann es sein, dass Sie versucht sind, alles aufzuschreiben, was Sie dazu finden. Das kann dazu führen, dass Sie lediglich aufzählen, was Sie alles gelesen haben. Eine Hausarbeit ist aber ein argumentativer Text, in dem Sie für andere überzeugend darlegen und begründen sollen, wie Sie u. a. mithilfe der Forschungsliteratur eine Forschungsfrage beantworten.
In manchen Studienfächern wird Ihnen vielleicht das Thema für Ihre Hausarbeit genannt. Auch dann ist es sinnvoll und hilfreich, eine konkrete Fragestellung aus diesem Themengebiet herzuleiten.
Thema, Titel und Fragestellung – was ist was? Das Thema ist der Forschungsbereich, aus dem Sie eine Fragestellung entwickeln. Es kann sinnvoll sein, bereits das Thema einzugrenzen . Das Thema oder der Themenbereich wird häufig ziemlich am Anfang der Einleitung genannt und erläutert. Die Fragestellung benennt dann das, was Sie in ihrer Hausarbeit genau untersuchen. Ob Sie die Fragestellung wirklich als direkte (mit Fragezeichen) oder indirekte Frage („In dieser Arbeit wird untersucht, inwiefern …“) in Ihrer Einleitung oder ob Sie sie als Forschungsziel („Ziel dieser Arbeit ist es zu klären, welche …“) oder These/Hypothese („In dieser Arbeit wird die These überprüft, ob …“) formulieren, hängt u. a. von den Konventionen des Fachs ab. Der Titel wiederum ist das, was vorne auf der Hausarbeit draufsteht. Er kann je nach Konvention und eigenen Vorlieben zugespitzt, spielerisch, beschreibend, aus Haupt- und Untertitel bestehend oder oder oder sein.

Woran erkennt man, ob eine Fragestellung gut/passend ist?

Nicht jede Frage ist auch als Fragestellung für eine Hausarbeit geeignet. Eine gute wissenschaftliche Fragestellung
hat ein Fragewort, ist also keine ja-nein-Frage (Typische Fragewörter sind: welche/r/s, wie, inwiefern, inwieweit, aber auch warum, wozu usw.),

geht nicht von falschen/unwahren Prämissen aus und ist in sich widerspruchsfrei,

ist nicht sofort zu beantworten, d. h. sie erfordert eine Untersuchung,

ist an den Stand der Forschung angepasst bzw. geht aus dem Forschungsdiskurs hervor – gerade bei Studienanfänger*innen wird oft nur gefordert, einen kleineren Ausschnitt aus der Forschungsliteratur vorauszusetzen,

ist mit den Methoden des Fachs zu beantworten,

ist eingegrenzt und klar umrissen.
Außerdem sollten Sie bei Ihrer Fragestellung auf Folgendes achten:
Sie sollte im Rahmen der Arbeit zu beantworten sein: Berücksichtigen Sie dabei, welche Seiten-/Zeichenzahl gefordert ist und wie viel Zeit Sie zur Bearbeitung haben.

Sie sollte in angemessener Tiefe, Differenziertheit und Präzision beantwortet werden: Dafür ist es sinnvoller über einen sehr eingegrenzten kleinen Themenbereich und Untersuchungsgegenstand als über ein breites Thema zu schreiben.

Es steht ausreichend Literatur zur Verfügung: Was ausreichend ist, hängt u. a. von Ihren Fähigkeiten und Kenntnissen ab.

Wann sollte ich eine Fragestellung erarbeiten und wie kann ich zu einer guten Fragestellung kommen?

Wenn Sie einen ersten Überblick über das Thema haben, über das Sie schreiben möchten, d. h. Sie kennen die im Zusammenhang mit dem Thema wichtigen Begriffe, Theorien und grundlegende Forschungsergebnisse, dann ist es sinnvoll, eine Fragestellung zu erarbeiten. Sie sollten sie im weiteren Verlauf des Lese- und Schreibprozesses immer wieder prüfen und ggf. nachschärfen, etwa wenn Sie feststellen, dass Ihr Untersuchungsmaterial zu groß ist (zeitlich oder vom Umfang her) oder dass es zu viele Aspekte sind, die Sie untersuchen wollen, als dass Sie sie in der ausreichenden Tiefe betrachten können.
Im Folgenden finden Sie eine ‚Anleitung‘, wie Sie zu einer ersten vorläufigen Fragestellung kommen können. Natürlich gibt es, wie beim Schreiben insgesamt, nicht den einen Weg, probieren Sie Unterschiedliches aus, indem Sie z. B. Ihre Kommiliton*innen oder Betreuer*innen fragen, wie Sie zu einer Forschungsfrage kommen. Sie können beispielsweise auch eine generative KI, wie ChatGPT, nutzen, um auf erste Ideen für Fragestellungen zu einem Thema zu kommen. In diesem Fall ist es besonders wichtig, die Vorschläge zu überprüfen und zu präzisieren.

Schreibübung für eine erste Fragestellung

Sie brauchen dafür einige kleinere Notizzettel, einen Stift und eine Uhr (Dauer insgesamt: ca. 35 Minuten):
1. Denken Sie an Ihr Thema und notieren Sie zügig auf die Notizzettel, was Ihnen zum Thema alles einfällt. Schreiben Sie pro Zettel nur ein Stichwort (eine Frage, einen Satz o. Ä.). Versuchen Sie möglichst nicht lange nachzudenken, sondern schreiben alles auf, was Ihnen durch den Kopf geht. Erst einmal ist es egal, ob es wirklich passt oder ob es das ‚richtige‘ Wort ist. Hören Sie nach 5 Minuten auf. (Stellen Sie sich vielleicht vorher einen Wecker.)
Viele orangefarbene Notizzettel mit unterschiedlichen Begriffen.
2. Schauen Sie sich an, was Sie   auf die Zettel geschrieben haben und versuchen Sie die Zettel in eine Ordnung zu bringen. Vielleicht überlegen Sie dabei zuerst, welche der Stichworte überhaupt zum Thema passen, dann welche fehlen, welche zusammengehören, wo es Unter- oder Überordnungen gibt o. Ä. Das Strukturbild, das sich daraus ergibt, muss nicht einer linearen Logik folgen. Schauen Sie einfach, was für Sie am besten passt. Geben Sie sich dafür 10 Minuten Zei
Orangefarbenes Plakat/ Poster mit Sammlung diverser Fragen.

3. Betrachten Sie nun Ihr Zettelbild in seiner Gesamtheit und formulieren Sie aus den Stichworten – vielleicht erst einmal eher spielerisch – einige Fragen. Versuchen Sie möglichst mindestens fünf unterschiedliche Fragen aufzuschreiben. (10 Minuten).

4. Gehen Sie nun alle Fragen durch und überlegen Sie dabei, welche geeignet sein könnte, welche Sie interessant finden. Überarbeiten Sie ggf. die Fragen. Hilfreich kann es auch sein, die Fragen einer Kommilitonin oder einem Kommilitonen vorzustellen und sie oder ihn zu bitten, zu sagen, was sie/er glaubt, was Sie mit einer solchen Frage genau untersuchen und wie Sie dabei vorgehen wollen. (10 Minuten).

Wenn Sie eine erste Fragestellung formuliert haben, können Sie diese z. B. auf folgende Weise überprüfen und präziseren: Notieren Sie Ihre Fragestellung auf ein möglichst großes Blatt Papier, so dass um die Frage ausreichend Platz für weitere Notizen ist. Kreisen Sie nun jedes Wort (oder auch Wörtergruppen) ein und notieren anschließend dazu, was die Wörter für Ihre Arbeit bedeuten. Anschließend können Sie genauer prüfen, ob die Fragestellung vielleicht zu breit ist, ob die – antizipierten – Inhalte zur Fragestellung passen, welche Kapitel sich aus der Fragestellung ergeben, ob etwas fehlt usw.
Mindmap zur Frage "Inwiefern tragen Fangesänge im Vfl-Stadion zur Kollevtivnildung bei?"
Weitere Tipps zum Thema Fragestellung
In unserem Workshopprogramm bieten wir regelmäßig einen Workshop zum Entwickeln der Fragestellung an.

Vom Schreibzentrum Frankfurt finden Sie hier eine weitere Anleitung zum Erarbeiten einer Fragestellung.

Bei den Schreib-Tutor*innen im Schreibcafé könnten Sie sich Feedback auf Ihre Entwürfe für eine Fragestellung einholen.

Und wenn Sie gar nicht vorankommen, nutzen Sie unsere Schreibberatung!

Hier sprechen Lehrende der LMU München über Forschungsfragen und darüber, was es ihrer Meinung nach dabei zu beachten gilt.

Wenn Sie eine umfangreichere Arbeit schreiben (Masterarbeit oder Doktorarbeit), kann Ihnen auch dieser Fragenkatalog helfen, ihre Fragestellung zu prüfen und ggf. zu präzisieren.
Im nächsten Beitrag dieser Serie geht es um darum wie man die Hausarbeit überarbeitet.
Bildnachweis: Nadine Lordick
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Maike Wiethoff
Maike Wiethoff ist Mitarbeiterin im Schreibzentrum und beschäftigt sich u.a. mit der Verbindung von Schreiben und Fachsozialisation.

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