Selbstgesteuertes Lernen – Was soll das den heißen?! Studierende werden sich selbst überlassen? Keine Lehrperson im Raum? Ausbruch von Chaos und Anarchie? Nein, so extrem ist die Selbststeuerung des Lernens durch die Studierenden nicht gemeint. Trotzdem handelt es sich um eine Kontrollübergabe von der Lehrperson an die Studierenden und ihre Freiheit den Lernprozess selbst zu gestalten.
Alle Lehr- und Lernprozesse haben Anteile, die eher fremdgesteuert sind und welche, bei denen die Studierenden selbst Hand an das Steuerrad legen können. Fremdgesteuerte Aspekte von Lehrveranstaltungen sind beispielsweise Anweisungen der Lehrperson an die Studierenden und Fristen zur Abgabe der Studien- oder Prüfungsleistungen. Neben solchen von anderen Akteuren vorgegebenen Rahmenbedingungen gibt es einen großen Möglichkeitsraum zum Training und zur Ausübung von Selbststeuerungskompetenz.
Eigeninitiative, Selbststeuerung,
Selbstbestimmung, Selbstständigkeit
Da wir hier den Fokus auf den Lernprozess legen, und nicht so sehr auf den Lerngegenstand, könnten das eigenständige Formulieren von Aufgabenstellungen, die eigene Zeitplanung oder die Aufteilung von Teilaufgaben innerhalb einer Gruppe Beispiele für selbstgesteuertes Lernen sein. Aus diesen Beispielen geht hervor, dass sich Selbststeuerung vor allem in höheren Semestern mit Studierenden mit größerer Lernerfahrung anbietet oder sich bestimmte Lehrformate, wie projektbasiertes Lernen, für eine größere studentische Freiheit eigenen, als beispielsweise klassische Vorlesungen oder Seminare. Dem muss nicht unbedingt so sein. Kleinere Einheiten, in denen auch in früheren Semestern Lerntechniken und -strategien geübt werden können, können auf einen größeren Anteil an selbstgestaltetem oder selbstgesteuertem Lernen in späteren Semestern hinarbeiten.
Was bringt selbstgesteuertes Lernen?
Während Studierende sich in klassischen Lehrformaten vermeintlich zurücklehnen und Wissen passiv konsumieren können, werden sie im selbstgesteuerten Lernen dazu angeregt, selbst explizit Verantwortung zu übernehmen. Diese Verantwortung für ihren Lernfortschritt haben sie selbstverständlich schon allein durch ihre Teilnahme an Lehrveranstaltungen, oft fällt diese Verantwortung aber erst wie Schuppen von den Augen, wenn die Klausur näher rückt und man noch 14 Foliensätze durchzuarbeiten hat. Selbstgesteuertes Lernen übergibt den Studierenden schon während des Semesters die Gestaltungsmöglichkeit und macht ihnen die Verantwortung für ihren kontinuierlichen Lernfortschritt bewusst. Diese Freiheit kann zu Lernerfolg beitragen, denn die eigenen Verantwortungsübernahme und Gestaltung der Lernprozesse führt zu gesteigerter Motivation und Identifizierung mit dem Fach.
Und wie setzt man das um?
Damit Studierende ihren Lernprozess selbst steuern können, müssen Sie wissen, wohin die Reise gehen soll. Die
Lernziele müssen also bekannt sein – zumindest die Veranstaltungsziele, vielleicht sogar Ziele für einzelne Termine oder Blöcke. Außerdem müssen die Studierenden wissen, wie sie diese Ziele erreichen können, das heißt, sie müssen die entsprechenden Lerntechniken und -strategien mitbringen, um auf den richtigen Weg zu kommen. Diese Techniken und Strategien können in den ersten Semestern oder in früheren Terminen der Veranstaltung erlernt und erprobt werden.
Und was, wenn die Studierenden
in die falsche Richtung segeln?
Dann kommt die Lehrperson wieder ins Spiel. Sie gibt sachliches und wertschätzendes
Feedback, bietet Hilfestellung an und dreht die Studierenden wieder in die richtige Richtung. Die Lehrperson wird zur Unterstützerin der Studierenden in ihrem aktiven Lernprozess und beobachtet sie dabei. Wann die Lehrperson eingreift, ist abhängig von den Lernzielen, der Länge der Einheit und den Erfahrungen der Studierenden.
Damit die Lehrperson auf die Bedarfe der Studierenden reagieren kann, müssen diese in der Lage sein, ihren Lernstand selbst einzuschätzen und zu kommunizieren. Um zu überprüfen, ob sich die Studierenden auf dem richtigen Weg befinden, können auch kleine
formative „Prüfungen“ während des Semesters stattfinden. Diese sind explizit nicht benotet und dienen den Studierenden zur Einschätzung des eigenen Lernfortschritts.
Aufgabe der Lehrperson beim selbstgesteuerten Lernen:
Kommunikation der Lernziele und notwendiger Instruktionen
Sicherstellung des Vorhandenseins der notwendigen Lernstrategien und -Techniken
Beobachtung des Lernfortschritts
Beantwortung von Rückfragen
Neben dem regelmäßigen Feedback der Lehrperson sind auch die Zusammenarbeit und der Austausch mit den Kommiliton*innen für die Teilnehmenden der Lehrveranstaltung lernförderlich.
Rückmeldungen von Peers werden wahrscheinlicher angenommen und bieten zusätzliche Perspektiven aus einer der eigenen ähnlichen Position. Damit die Kompetenzen des selbstgesteuerten Lernens erfolgreich trainiert werden können, bedarf es zusätzlich der Reflexion der eigenen Ergebnisse und Kompetenzen. Dafür sollte in der Lehrveranstaltung explizit Raum eingeplant werden – zum Beispiel im Rahmen eines Lerntagebuchs oder eines
Portfolios.
Eine Lehrveranstaltung besteht in der Praxis immer aus einer Mischung aus Selbst- und Fremdsteuerung, allein um möglichst vielen Studierenden gerecht zu werden und weil sie sich innerhalb vorgegebener Rahmenbedingungen bewegt. Die Anteile an Selbst- und Fremdsteuerung können jedoch variieren und entsprechene Phasen können sich jeweils abwechseln – abhängig von den teilnehmenden Personen und ihren Erfahrungen, den zu lernenden Inhalten und den vorgegebenen Lernzielen.
Gelingendes Lernen ist kein Zufallsprodukt.
Dennoch braucht die Entwicklung von Lernkompetenz und damit die gelingende Durchführung von selbstgesteuertem Lernen Zeit. Studierende können den Lernprozess und wir Lehrenden die Lernkompetenzentwicklung aktiv gestalten. Notwendig bleiben Geduld, Wertschätzung und Dialog. Wenn es funktioniert, hat es sich auf jeden Fall gelohnt, denn dann haben die Studierenden ihre Lernziele erreicht und sie können ihre Lernprozesse besser steuern und erfahren Selbstwirksamkeit und Motivation.
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