Das Jahresprogramm „Hochschullehre im Kontext von Nachhaltigkeit“ der Stiftung Innovation in der Hochschullehre (StIL) bot den Teilnehmer*innen in diesem Sommer ein ganz besonderes Angebot: Eine gemeinsame Reise nach Lappeenranta in Finnland, um den besonderen Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit an der dortigen Universität hautnah erleben zu können. Anna Hans vom Projekt BNE@RUB war eine Woche mit der Gruppe unterwegs und wurde selbst von der „Neugier“ gepackt.
Nachhaltigkeit an der Lappeenranta University of Technology erleben
Samstagabend, kurz nach acht am Hamburger Busbahnhof: Eine kleine Traube Menschen mit mehreren Gepäckstücken schaut sich etwas suchend um, kommt dann immer mehr ins Gespräch. Immer wieder kommen weitere Personen dazu und stellen sich zur Gruppe. Einige beginnen nochmals ihre Reisetaschen aus- und einzuräumen. Irgendwann kommt eine Person mit einer Liste dazu, ruft Namen auf und hakt ab. Es scheinen fast alle da zu sein. Die Gruppe setzt sich dann mit ihrem Gepäck in Bewegung. Einiges wird in das Gepäckfach eines Reisebusses gepackt, vieles auch mit in den Innenraum genommen. An der Anzeigetafel am Bushaltepunkt steht: 21:00 Fin-Lappeenranta. Was von außen nicht ganz selbsterklärend ist, ist für die Gruppe ganz klar: Sie reisen mit diesem Bus nach Lappeenranta in Finnland – und werden in etwa 40 Stunden dort angekommen sein. Für die meisten in der Runde auch ganz logisch: Sie brauchen unterschiedliches Gepäck. Das für die Fähre, die sie in Travemünde besteigen werden, muss mit in den Innenraum, denn die Koffer aus dem unteren Teil des Busses können auf der Fähre nicht herausgeholt werden. Das erklärt auch das Umpacken eben am Bahnhof.
Bei der Gruppe handelt es sich um Angehörige von Hochschulen und Universitäten aus ganz Deutschland, die am Jahresprogramm „Hochschullehre im Kontext von Nachhaltigkeit“ der Stiftung Innovation in der Hochschullehre (StIL) teilnehmen. Von zwei vorherigen Treffen kennt sich die Gruppe bereits, jetzt geht es gemeinsam auf ein kleines Abenteuer, mit ganz viel Neugier im Gepäck. Meine ersten Impressionen zum Start des Jahresprogramms lesen Sie in diesem
Blogartikel.
Wie für das ganze Jahresprogramm steht insbesondere für diese gemeinsame Reise der sinnbildliche Spruch: Der Weg ist das Ziel. So besteht die insgesamt gut 6-tägige Reise eben hauptsächlich daraus: Weg. Das liegt vor allem daran, dass wir den Großteil der Strecke nach Lappeenranta mit der Fähre bestritten haben. Somit dauerte allein die Zeit auf See von Travemünde nach Helsinki knapp 30 Stunden. Dazu kamen Busfahrten von Hamburg nach Travemünde und dann von Helsinki in das gut 200 km nord-östlich gelegene Lappeenranta, das direkt an der Grenze zu Russland liegt. Für uns als Teilnehmende war die gesamte Reise zum Glück gut organisiert und mit dem eigenen Reisebus auch sehr flexibel. Wie es sein kann, eine internationale Dienstreise auf eigene Faust ohne Flugzeug und nur mit öffentlichen Beförderungsmöglichkeiten zu bestreiten, auch dazu gibt es einen
Blogbeitrag über eine Reise nach Cork in Irland.
Der Verzicht auf die vermeintlich einfachere Reise mit dem Flugzeug hat bei der Reise nach Finnland nicht nur ökologische Gründe - insbesondere da uns beim Aufenthalt auf Deck der Fähre immer wieder deutlich vor Augen und auch in die Nase geführt wurde, wie viele Abgase so ein riesiges Schiff fabriziert. Auch inhaltlich war diese Reiseart gut begründet, denn die gemeinsame Zeit auf dem Schiff sollte von der Gruppe gut genutzt werden. Durch die lange und intensive gemeinsame Zeit habe ich viele aus der Gruppe besser kennenlernen können. Vor allem wurde die Zeit aber zum gemeinsamen Arbeiten genutzt. Um von dem dann gar nicht so langen Aufenthalt vor Ort an der LUT, wie die Universität in Lappeenranta von allen kurz genannt wird, möglichst viel mitnehmen zu können, haben wir die Hinreise für eine gemeinsame Vorbereitung genutzt: Was erwarten wir? Wie können wir das mitnehmen, was wir uns erhoffen? Was wollen wir auf jeden Fall in Erfahrung bringen? Wen können wir was am besten fragen? All diese Überlegungen haben wir ausführlich diskutiert. Dazu haben wir die Zeit genutzt, um uns auch schon intensiver mit dem Konzept unserer Gastgeberhochschule auseinanderzusetzen.
Das Jahresprogramm: Nach 2022 führt die Stiftung Innovation in der Hochschullehre (StIL) das Jahresprogramm zum Thema Nachhaltigkeit dieses Jahr zum zweiten Mal durch. Teil des Programms sind 33 ausgewählte Angehörige verschiedener deutscher Hochschulen aus den Gruppen der Studierenden, der Lehrenden, der Mitarbeitenden im Wissenschaftsmanagement sowie Mitglieder von Hochschulleitungen. Neben der Exkursion nach Finnland finden im Jahresprogramm weitere Workshops statt, die die Teilnehmenden in ihren Rollen stärken und die Möglichkeit zur Vernetzung geben sollen. Genauere Informationen zum Programm und eine Übersicht über alle Teilnehmenden gibt es auf der
Seite des Jahresprogramms.
Eine besondere Hochschule
An dieser kamen wir dann am Montagmittag auch an. Im Nachhinein zeigt der erste Eindruck, der uns begrüßt hat, schon ganz gut, was die vielen weiteren Einblicke dann verdeutlicht haben: Die LUT ist eine Uni mit einer ganz eindeutigen Ausrichtung und Mission, die auch für alle sichtbar und verständlich sein soll. Wir kamen in sehr gepflegte, offene und grüne Gebäude. Gerade die Pflanzen, die überall stehen, sind uns direkt ins Auge gefallen. Später erfuhren wir, dass es eine eigene Person gibt, die sich um alle Grünpflanzen in den Gebäuden kümmert. Es wurde direkt deutlich: die LUT will attraktiv sein.
Und dies zum einen durch ihr Erscheinungsbild und zum anderen durch ihre klare Ausrichtung auf Nachhaltigkeit sowohl in inhaltlichen Bereichen von Forschung und Lehre als auch im Betrieb. Für uns ging es dann direkt zum Mittagessen in die Mensa und auch hier können die ersten Eindrücke sinnbildlich für vieles stehen, was die LUT ausmacht. Zum einen zeigte der erste Blick direkt, dass es sich bei der LUT, nicht nur im Vergleich zur RUB, um eine kleine Universität handelt: etwa 7700 Studierende gibt es momentan, verteilt auf die drei Schools Business, Energy Systems und Engineering Science. In letzterer gibt es seit kurzem auch einen Bereich Social Science.
Mit der viel kleineren Größe und auch der geringeren fachlichen Breite ist für mich auch klar, dass vieles von hier nicht unbedingt auf die RUB übertragen werden kann. Umso neugieriger wurde ich, welche grundsätzlichen Ideen an der LUT dennoch eine Inspiration für uns vor Ort sein können. Beim Essen wurde aber noch eine zweite Sache deutlich: Hier wird einfach mal gemacht, auch wenn es noch viele Baustellen gibt und es wird weniger kritisiert, sondern das positive nach vorne gestellt. Dass es gerade an einer so auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Hochschule für die vegan essenden Teile unserer Gruppe gar nicht so leicht war, etwas zu essen zu finden, war für uns dann doch überraschend.
Auch solche Momente gab es im Laufe der Erkundungen and er LUT immer wieder: Dass wir das Gefühl hatten, so richtig nachhaltig ist das jetzt doch nicht, verglichen mit unseren oft hohen Ansprüchen an eine ganzheitlich nachhaltige Hochschule. Und dennoch sind die Menschen an der LUT stolz darauf, was sie schon erreicht haben und vermarkten es auch hervorragend. Das scheint mir eine erste Sache zu sein, die wir uns abschauen können: Nicht alles bis zum Ende zu zerreden. Nicht nur das machen, wo dann alles perfekt zusammenpasst. Sich nicht zu verstecken mit dem, was man tut, in der Sorge, dass es nicht allen Ansprüchen genügt, sondern stattdessen einfach mal machen. Und dann auch darüber reden.
Einfach mal machen. Und dann auch darüber reden.
Am Nachmittag folgten für uns dann einige Einblicke ins „land of the curious“ durch Vorträge und Führungen. In beidem begegnete uns dieser Slogan immer wieder: auf Bannern, in allen Präsentationen, auf Taschen, die wir bekommen haben, …. Dazu werden Bilder von jungen Menschen zwischen grünen Blättern, an Seen, auf Bergen gezeigt. So vermarktet sich die Hochschule, beschreibt sich und ihren Anspruch aber auch selbst: Neues zu wagen und mutig nach vorne zu gehen in Sachen Nachhaltigkeit. Dies gilt insbesondere für ihre Lehre und Forschung, die ganz klar auf dieses Thema ausgerichtet ist. Studierende sollen dazu ausgebildet werden, einen möglichst großen Impact für eine nachhaltige Welt haben zu können. Dabei richtet sich die LUT an den SDGs aus und hat einige für sich klar fokussiert, ganz pragmatisch die, die am besten zu ihren Fakultäten passen. Und auch hier sollen das alle wissen und sich damit identifizieren. So hängt ein riesiges Banner mit den Zielen im Eingangsbereich.
Das SDG 4 „Hochwertige Bildung“ ist im Übrigen nicht Teil der fokussierten Ziele, ebenso wie das mit Nachhaltigkeit verbundene Bildungskonzept BNE (Bildung für nachhaltige Entwicklung) dort keine Rolle spielt. Nachhaltigkeit in der Bildung wird hier eindeutig als fachlicher Bildungsinhalt gesehen, mit dem klare Ziele für einen Impact in der Gesellschaft verbunden sind. Dazu gibt es gerade im Masterbereich sehr viele verschiedene und spezialisierte Studiengänge.
Was es mit diesem starken Commitment auf Nachhaltigkeit noch genauer auf sich hat, konnten wir am nächsten Tag genauer erkunden. An diesem hatten wir mehrere Stunden Zeit, in kleineren Gruppen mit Mitarbeitenden der LUT ins Gespräch zu kommen. Sie betonten immer wieder, dass es eine ganz knappe und für alle verständliche Strategie gibt, bei der daher auch fast alle mitmachen. In der Tat hatten wir uns auf der Hinfahrt mit dem Strategiepapier der LUT beschäftigt, dass anders als viele uns bekannte Papiere nicht mehrere Unterkapitel und viele Seiten hat, sondern auf einer knappen Seite zusammengefasst ist. Dazu gibt es eine einfache Grafik, die im Übrigen bei allen Mitarbeitenden an der LUT der voreingestellte Desktophintergrund ist.
Dazu kommt etwas, was wohl auch mit einer Mentalität von den Menschen in Finnland – oder zumindest an der LUT – zu tun hat: Für die Menschen, mit denen wir gesprochen haben, ist ganz klar, dass es zu ihrem Auftrag gehört, sich in allen Bereichen für den Schwerpunkt der Nachhaltigkeit und damit auch für die Identität ihrer Universität zu bemühen, sei es in der Beschaffung, der Kommunikation oder der Forschung. Und das wird in vielen Teilen nicht durch kleinschrittige Vorgaben geregelt, sondern durch die Mitarbeitenden selbst über individuelle, pragmatische Wege. Auch dabei geht es nicht darum, dass dieser Weg perfekt sein muss, solange wirklich etwas getan wird und dabei alle ihr Bestes geben. Ein schönes Bild, das uns die Mitarbeitenden der LUT gezeichnet haben. Vielleicht wäre eine solche Einstellung auch etwas für unsere deutschen Hochschulen.
Von der Reise und den Erfahrungen der Teilnehmenden hat die StIL in einem Video zusammengefasst.
Einen genaueren Eindruck von der LUT bekommt man auf ihrer Homepage und gerade die Art der Außendarstellung wird gut auf ihren Social-Media-Kanälen, zum Beispiel auf YouTube oder Instagram.
Auf dem oben verlinken Instagram-Kanal durften auch einige Teilnehmende unseres Jahresprogramms zu Wort kommen. Hier ist das entsprechende Reel. Nach den intensiven Beschäftigungen und guten Gesprächen zu Nachhaltigkeit an der LUT, hatten wir noch etwas Zeit, Eindrücke von der Natur rund um die LUT zu sammeln und uns am Abend auch noch etwas in Lappeenranta umzusehen, bevor es dann am Mittwochmorgen schon wieder zurück nach Helsinki ging, um die Heimreise anzutreten. Das hieß für uns, wir hatten nochmal ca. 30 Stunden gemeinsame Zeit auf der Fähre, bevor wir dann am Donnerstag kurz vor Mitternacht in Hamburg zurück sein sollten.
In dieser Zeit hieß es, die gewonnenen Eindrücke und Erfahrungen zu sortieren, sich untereinander auszutauschen und etwas für die weitere Zusammenarbeit in der Gruppe abzuleiten. Dabei wurde mir klar: Die besondere Erfahrung dieser Reise liegt nicht (nur) an der Auswahl der Universität, die wir besucht haben. Sie liegt in der Art der Begegnung, die nicht nur auf Außendarstellung, sondern auf Dialog gebaut hat, sie liegt in dem bunt gemischten Programm, das ganz unterschiedliche Perspektiven auf die LUT und auch den Ort ermöglicht hat, sie liegt in der Gruppe, die durch ihre Vielfalt viele verschiedene Aspekte in den Fokus nimmt und sie liegt in der Art der Reise, bei der eben wirklich der Weg das Ziel ist. Das wurde uns gerade auf der Rückfahrt noch einmal deutlich, als es daran ging, in der Tat über unseren weiteren gemeinsamen Weg als Gruppe zu sprechen: Wohin wollen wir uns auf den Weg machen, nicht nur an unseren einzelnen Hochschulen, sondern in gemeinsamen Projekten? An Ideen und Motivation mangelte es auf jeden Fall nicht, sodass wir auf dem Weg wirklich ein paar Ziele für unsere folgende gemeinsame Zeit setzen konnten. Was daraus wird, lesen Sie dann am Ende des Jahres.
Neben allen inhaltlichen und geplanten Punkten war die Reise noch auf einer anderen Ebene eine besondere Erfahrung: wir waren quasi auf einer Klassenfahrt, nur im Unikontext. Und das war manchmal herausfordernd, machte aber vor allem Spaß und erinnert an früher: Wir haben vielleicht etwas zu viel Süßes gegessen, weil es auf der Fähre allein für den Nachtisch ein riesiges Buffet gab. Wir sind nachts noch draußen herumgelaufen, nur, dass es eben in Finnland nicht dunkel war. Einige haben vielleicht etwas zu wenig geschlafen und wie haben lustige (Kinder)spiele und Yoga-Bewegungseinheiten auf dem Deck der Fähre gemacht. Gerade letztere kamen auch bei anderen Passagier*innen gut an, die dann einfach auch mitgemacht haben. Auch auf dieser Ebene hat uns der Weg zu besonderen Erfahrungen geführt.
Donnerstagnacht, an einem Hotel in Hamburg: Ein Bus fährt vor und einige Menschen mit Gepäckstücken steigen nach und nach aus, holen noch weitere Koffer aus dem Bus. Nach und nach gehen Sie in das Hotel und verabschieden sich dann einzeln von der Gruppe, sobald Sie einen Zimmerschlüssel erhalten haben. Und sie wissen: In knapp drei Monaten werden sie sich wiedersehen, voller Neugier darauf, wie die vielen Erfahrungen der Reise bei den anderen in dieser Zeit nachgewirkt haben.
Haben Sie Fragen zu Nachhaltigkeit in der Lehre an der RUB? Dann bin ich Ihre Ansprechpartnerin!
Im kommenden Wintersemester begleiten BNE-Tutor*innen erstmalig Lehrveranstaltungen an der RUB. Informationen zum Programm finden Sie hier.
Die Projektwebsite von BNE@RUB gibt einen Überblick über unsere Tätigkeiten, um Bildung für Nachhaltigkeit an der RUB zu stärken. Schauen Sie gerne vorbei!
Die Stiftung Innovation in der Hochschullehre unterstützt und fördert mit unterschiedlichen Formaten die Veränderung der Lehre in Hochschulen. Genauere Informationen finden Sie auf der Seite der StIL. Bildnachweis: Anna Hans