Zu den Schaltzentralen der Digitalisierung im Silicon Valley reisen inzwischen viele Leute. Doch wie sieht eigentlich der Maschinenraum aus? Ich habe ihn in Irland besucht: Dort, wo sich in Europa die Hauptsitze und Großrechenzentren der Tech-Konzerne ballen.
Big Tech in Irland
Big Tech in einem kleinen Land: Passt das überhaupt zusammen? Tatsache ist: Irland hat es in den vergangenen Jahrzehnten geschafft, sich für die Europäische Union als besonders beliebter Standort amerikanischer Tech-Konzerne zu etablieren. Dies lässt sich beispielsweise dadurch erklären, dass es hier für amerikanische Staatsangehörige keine Sprachbarriere gibt. Ein besonders wichtiger Faktor ist aber auch das irische Steuermodell, durch das die Tech-Konzerne ihre Abgaben auf sehr niedrigem Niveau halten. Aus irischer Sicht wiederum sorgen neben den Steuern beispielsweise Bautätigkeit und Arbeitsplätze für mehr Wohlstand in dem Land, das vor noch nicht allzu langer Zeit wirtschaftlich in einer Krise steckte. Eine Win-Win-Situation, zumindest für die beiden unmittelbar beteiligten Seiten. Gleichzeitig ist die Tatsache, dass die Konzerne auf ihre Milliardenumsätze in Europa kaum Steuern zahlen, immer wieder scharf kritisiert worden.
Fotos: Peter Salden
Firmensitze
Ich bin anlässlich des UNIC-Treffens der Centers for Teaching and Learning in Cork, Südirland. Das ist ein guter Startpunkt, um einen ersten Eindruck von der Tech-Präsenz im Land zu gewinnen. Ich wandere am Abend ein gutes Stück durch die Stadt, bis sie in die grüne Landschaft übergeht. Hier liegt, ganz am Stadtrand, auf einem Hügel Apples Europazentrale. Viel zu sehen gibt es nicht, abgesehen von Bürogebäuden in einem geschlossenen Gelände. Es wird gebaut. Das Geschäft scheint zu laufen.
Zwei Tage später in Dublin: Dort, wo früher noch Ausläufer des Dubliner Hafens waren, ist eine neue Welt entstanden, bekannt unter dem Namen „Silicon Docks“. Hier reihen sich moderne Hochhäuser aneinander, in denen Konzerne wie Facebook, Airbnb und Amazon ihre Büros haben. Auch Googles Europazentrale gehört dazu, verteilt sich entlang eines alten Hafenbeckens. Die Gebäude bilden den „Google Campus“, einschließlich des Google-Gyms; also so, wie man es sich auch im Silicon Valley vorstellt. Die Google-Büros ziehen sich an einer kleinen Straße entlang. Direkt auf der anderen Straßenseite sieht das Bild ganz anders aus: Dort liegt eine kleine Arbeitersiedlung. In ihr wohnen keine Tech-Millionäre, das steht fest. Die Gentrifizierung lässt grüßen.
Foto: Peter Salden
Großrechenzentren
Im Stadtzentrum stehen die Firmenzentralen, doch auch außerhalb gibt es etwas zu sehen. Denn über ganz Dublin sind Großrechenzentren verteilt, die hier sowohl „Vermieter“ von Rechenleistung als auch die großen Tech-Konzerne selbst mit ihren Cloud-Sparten – Amazon Web Services, Microsoft Azure und Google Cloud Platform – errichtet haben.
Diverse Server und ein Data Center hat auch die RUB. Doch auf meiner Tour in Dublin geht es um eine andere Dimension: Hier ist die Sphäre so genannter Hyperscale-Rechenzentren, lang wie ein RUB-Fakultätsgebäude und mit tausenden Servern im Inneren. Ihr Stromverbrauch liegt schnell im dreistelligen Megawatt-Bereich, also auf dem Niveau von Städten mit mehreren zehntausend Einwohner*innen.
Screenshot von Openstreetmap.org
Ich fahre mit dem Rad eine Stunde aus der Stadt heraus, immer entlang des „Grand Canal“ nach Westen. Die Bebauung läuft langsam aus, geht in Felder über. Weit draußen liegt der Grange Castle Business Park. Eine Hochspannungsleitung weist den Weg, sie mündet später in mehrere Umspannwerke (Substations, s. Karte). Das Gebiet ist von einem Zaun umgeben, ein Wachhaus steht an der Einfahrt – diese scheint aber frei zu sein, also radle ich weiter. Ich komme auf ein Gelände mit breiten, perfekten Alleen. Es ist Freitag, 17 Uhr. Menschen sind hier nicht zu sehen.
Foto: Peter Salden
Mich interessiert der hintere Teil des Geländes: Hier stehen beispielsweise Rechenzentren, in denen Daten von Microsofts Cloud-Dienst Azure gespeichert werden. Ausgeschildert ist das nicht: Hinter dezenten Erdwällen und hohen Zäunen sieht man die oberen Enden großer fensterloser Gebäude. Die Einfahrten sind gut gesichert und überwacht, die Beschilderung ist kryptisch. Ein Eingangsschild „Unit 75“ – bin ich hier bei Microsoft?
Ich verlasse das Gelände auf der anderen Seite. Hier verlaufen große Straßen, und hier ist die Sicht freier. Mehrere Großrechenzentren stehen im Gelände. Ich nehme eine andere Einfahrt. Rechts ein großer Kasten, links ein großer Kasten. Einer brummt wie ein riesiger Kühlschrank. Gesicherte Eingänge, Zäune und Überwachungskameras. Ein Umspannwerk. Rechts ein weiterer Kasten. Am Ende des Wegs ein kleines Schild: „Google“. Und ein Papier mit dem Hinweis, dass alles, was auf diesem Gelände geschieht, vertraulich ist.
Foto: Peter Salden
Ich drehe um. Menschen sehe ich auf meiner Fahrt weiterhin fast keine. Ich muss an die Freude zu Hause in NRW denken, wo Microsoft im Rheinischen Revier ebenfalls Großrechenzentren bauen möchte . Ein Jobwunder scheint das nicht zu werden.
Die Stromfrage
Was man in dieser Gegend sieht: Hier stehen nicht nur Neubauten, hier wird auch weiter gebaut. Kein Wunder, denn der Bedarf nach Rechenleistung wächst – beispielsweise durch den Streaming-Boom und aufgrund von Künstlicher Intelligenz. Die Data Center-Branche expandiert, was gerade in Irland spürbar ist. Der Netzbetreiber Eirgrid schätzt , dass bis zum Jahr 2028 etwa 29% des irlandweiten Stromverbrauchs auf Großverbraucher – insb. Data Centers – entfallen wird.
Foto: Peter Salden
Woher soll der nötige Strom kommen? In den USA diskutiert die Branche sogar über die gezielte Konstruktion kleiner Atomreaktoren. Die IT-Konzerne erschließen aber auch nachhaltige Quellen, investieren beispielsweise in Windparks. Als wie „grün“ ein Rechenzentrum gilt, entscheidet sich an der Herkunft seiner Energie und auch daran, was mit der Abwärme aus dem Inneren passiert. Denn diese kann entweder die Umgebung erhitzen – das wäre schlecht – oder beispielsweise in ein Fernwärmesystem eingehen. Ein ökologischer Fußabdruck bleibt so oder so. Irische Umweltschützer kritisieren, dass die angestrebte Klimaneutralität ihres Landes in weite Ferne rücke, da der steigende Strombedarf das Auslaufen fossiler Energien verhindere. Naturschutzorganisationen versuchen deswegen teils, den Bau neuer Großrechenzentren durch Klagen zu stoppen. Gerade auch angesichts des Aufkommens generativer KI wird dieser Konflikt wohl noch an Aktualität gewinnen.
Foto: Peter Salden
Big Tech und eine Ruine
Langsam setzt die Dämmerung ein. Es war für mich gut, diesen Ort einmal gesehen zu haben. Die Cloud ist also nicht im Himmel, sondern steht ziemlich massiv auf dem irischen Boden. Gut möglich, dass hier auch einige meiner Daten physisch verankert sind.
In der Mitte des Grange Castle Business Parks steht eine kleine Schlossruine, die schaue ich mir nun auch noch an. Die Umgebung der Ruine ist perfekt aufpoliert, aber alle Fenster sind leer oder verrammelt. Menschen sind auch hier nicht, nur Krähen kreisen. Über die Bäume schauen die Dächer einiger Rechenzentren, und natürlich beobachtet mich eine Kamera. Der perfekte Ort zur Reflexion über Digitalisierung.
Und was hat das mit uns zu tun?
Im ZfW beschäftigen wir uns intensiv mit Digitalisierungsthemen – derzeit besonders viel mit Generativer Künstlicher Intelligenz. Wir arbeiten derzeit daran, ob und wie für die RUB kommerzielle KI-Dienste (wie ChatGPT) institutionell nutzbar sein sollen, und auch daran, ob Hochschulen unabhängig von Großkonzernen selbst KI-Modelle betreiben können. Diese Abwägungen können aus vielen Perspektiven erfolgen. Dazu gehört beispielsweise: Wo werden die Daten eigentlich verarbeitet? Welche Umweltkosten hat der Einsatz dieser Dienste? Sicher haben wir alle darüber schon einiges gehört und gelesen. In Irland wird allerdings manches sichtbar, was sonst eher der eigenen Vorstellung überlassen ist.
Zum Weiterlesen:
Wie der Boom der Rechenzentren Irlands Stromnetz gefährdet | Heise online
Was Datenspeicher und Künstliche Intelligenz für Klima und Stromversorgung bedeuten | ZDF
KI-Sprachmodelle an Hochschulen: auf dem Weg zu strukturellen Lösungen in NRW und an der RUB | ZfW-Blog
Nachhaltige Dienstreise: ein Selbstversuch von Bochum nach Cork | ZfW-Blog
Kommentare
Neuigkeiten aus dem ZfW per E-Mail erhalten
Peter Salden
Dr. Peter Salden leitet das Zentrum für Wissenschaftsdidaktik der Ruhr-Universität Bochum.
Alle Schlagwörter
5x5000
AIStuddyBuddy
Aus dem Netzwerk
BNE@RUB
Didaktik-Tipp
DigitalChangeMaker
Digitalisierung
eTeam Digitalisierung
Fachtag
Für Studierende
Game Based Learning
GeFo DL
Generative Technologien
GPT@RUB
Hausarbeiten schreiben
HD-Absolvent*innen im Interview
Hochschuldidaktische Qualifizierung
In eigener Sache
Internationalisierung
Jahresrückblick
KI-NEL
KI-Tools
KI:edu.nrw
Learning AID
LEHRELADEN
Lehrflächen der Zukunft
Lesen und Recherchieren
Methoden-Tipp
Moodle
Nachhaltigkeit
Net[t]working
OER
OERcamp
Open Access
Open Educational Resources
Open Science
Optionalbereich
ORCA.nrw
Prüfen
Recht
Schreibcafé
Schreiben an der Uni
Schreibmaschine
Schreibtipps
Schreibtutor*innen
STAFF-DEV
Storytelling
Themenreihe
Tool-Tipp
Ukraine
UNIC