Wissenschaftsdidaktik zwischen Fjorden, Bergen und Weltkulturerbe

Beitragsbild: Wissenschaftsdidaktik zwischen Fjorden, Bergen und Weltkulturerbe
Im September 2025 hatte ich die Gelegenheit im Rahmen eines Erasmus Job-Shadowing, eine Woche an der Universität Bergen (UiB) in Norwegen zu verbringen. Mein Ziel war es, Einblicke in die hochschuldidaktische Arbeit der Kolleg*innen in Norwegen zu erhalten und insbesondere zu erfahren, wie dort mit Künstlicher Intelligenz (KI) und Learning Analytics in Studium und Lehre umgegangen wird.
Der Besuch bot neben vielen fachlichen Gesprächen mit vielen spannenden Personen auch Zeit für persönliche Eindrücke einer Stadt, die durch die Verbindung von Meer, Bergen, historischer Altstadt und in das Stadtbild integrierte Universität einen ganz besonderen Lernort erzeugt.

Der einfache Weg zum internationalen Austausch

Für mich begann die erste positive Erfahrung bereits im Rahmen der Vorbereitung des Job-Shadowing. Durch die großartige Unterstützung der Kolleg*innen des International Office der RUB und dem bürokratiearmen Prozess, konnte ich ohne großen Aufwand meinen internationalen Austausch beantragen. Schnell die Reise geplant und das Hotel gebucht und schon konnte ich mich voll auf die detaillierte inhaltliche Vorbereitung konzentrieren: unterstützt durch Robert Kordts von der UiB habe ich die Termine mit den Kolleg*innen aus Norwegen abgesprochen, eine Präsentation über unsere Arbeiten am Thema KI an der RUB vorbereitet, die Wettervorhersage für die regenreichste Stadt in Europa geprüft und anschließend überraschend wenig Regenkleidung eingepackt! Schon konnte es losgehen.
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Ein Campus und doch kein Campus

Die Woche begann am Montag mit einer Campusführung mit Robert Kordts Professor für Universitätspädagogik am Department of Education an der Universität Bergen. Hier stellte ich den ersten Unterschied zwischen der RUB und der UiB fest: Die UiB ist keine klassische Campus-Universität und doch lässt sich durch die schnelle fußläufige Erreichbarkeit nahezu aller Universitätsgebäude von einer Art Campus sprechen.
Karte mit farblicher Hervorhebung der Gebäude der UiB
Bis auf einzelne Gebäude befinden sich alle Universitätsgebäude in einem Stadtviertel und sind daher innerhalb von 15 Minuten fußläufig zu erreichen. Fakultäten, Institute und Forschungseinrichtungen verteilen sich über das Stadtviertel – oft eingebettet in historische Gebäude. Die Universität wirkt so wie ein organischer Teil der Stadt. Durch diese Integration in die vorhandene Gebäudestruktur unterscheiden sich die Gebäude erheblich in ihrer jeweiligen Architektur. Von alten Schulen, über klassische Brutalismusbauten – ein Gefühl von Heimat also – bis hin zu modernen Neubauten ist alles dabei. Zwischen den Universitätsgebäuden finden sich Schulen, Wohnhäuser, Supermärkte und Cafés.
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Am gleichen Tag hatte ich zudem die Möglichkeit Anja Jacobsen, Kristine Ludvigsen und Odin Schei von der Western Norway University of Applied Sciences (HVL) aus der Division of Academic Development am dortigen Campus zu treffen. Der Campus wurde 2020 eröffnet und entsprechend modern und durchdacht sind die Lehr- und Lernräume. Die neuen Gebäude wurden mit dem alten Gebäudebestand auf dem Gelände – einer ehemaligen Eisenbahnwerkstatt – kombiniert: Auch hier trifft also historisches auf modernes. Besonders bemerkenswert fand ich, dass hier nicht nur den Mitarbeitenden, sondern auch allen Studierenden kostenlos und barrierefrei zugänglich Küchenzeilen zur Verfügung stehen. Wenn die Tage am Campus also einmal länger werden, haben auch die Studierenden die Möglichkeit sich selbst zu versorgen.
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Lehr- und Lernraumentwicklung an der RUB

Auch an der RUB passiert aktuell viel in Sachen Lehr- und Lernraumentwicklung. Neben der umfassenden Campussanierung beschäftigt sich beispielsweise das vom Land NRW geförderte Projekt „Flächen der Zukunft: Lehr- & Lernflächen“, das am ZfW koordiniert wird, mit Fragen der zukunftsorientierten Lehr- und Lernflächengestaltung.

Weitere Informationen finden Sie auf der Projektwebsite.

Hochschuldidaktische Qualifizierung

Ein Thema meiner Gespräche war die hochschuldidaktische Qualifizierung von Lehrenden – ein Bereich, in dem Norwegen bereits seit Jahren konsequent institutionalisierte Strukturen geschaffen hat. Sowohl an der Universität Bergen (UiB) als auch an der Western Norway University of Applied Sciences (HVL) ist die hochschuldidaktische Weiterbildung aufgrund einer staatlichen Vorgabe verbindlich für alle Lehrenden.
Robert Kordts und Robert Morris Gray berichteten mir, dass die Lehrenden an der UiB das University Pedagogy Program (UPED) besuchen müssen. Das Programm umfasst drei Basismodule, die von allen Lehrenden absolviert werden müssen, sowie mehrere Wahlpflichtmodule in den Themenfeldern Supervision, Technology und Equity & Accessibility. Neue Kurse entstehen oft aus den Interessen einzelner Lehrender – ein bewusst offenes System, das es ermöglicht, neue Themen wie KI oder Nachhaltigkeit dynamisch zu integrieren.
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An der HVL ist die Struktur etwas anders: Das dortige Programm umfasst etwa 10 ECTS, mit mindestens zwei Pflichtmodulen und optionalen Vertiefungen. Wer bereits längere Lehrerfahrung und ein Reflexionsportfolio vorweisen kann, kann sich diese Erfahrung für Teile des Programms anrechnen lassen.
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Auffällig ist, dass beide Hochschulen hochschuldidaktische Qualifizierung nicht als Zusatz, sondern als integralen Bestandteil der akademischen Rolle verstehen. Didaktische Kompetenz gilt hier als ebenso selbstverständlich wie fachliche Expertise. Hierzu trägt sicherlich auch die staatliche Vorgabe bei.
Hochschuldidaktische Qualifizierung an der Ruhr-Universität

Auch an der RUB gibt es ein umfassendes Qualifizierungsangebot für Lehrende. Das ZfW organisiert in enger Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Hochschuldidakik NRW das fortlaufende Qualifizierungsprogramm Professionelle Lehrkompetenz für die Hochschule. Falls Sie nicht direkt das ganze Programm durchlaufen möchten, können Sie auch einzelne Workshops besuchen.

Schauen Sie doch einmal in das aktuelle Jahresprogramm.

Status-Quo: generative KI an Hochschulen in Norwegen

Ein Schwerpunkt meiner Gespräche lag auf der Frage, wie norwegische Hochschulen mit der zunehmenden Verfügbarkeit generativer KI umgehen. Hierzu tauschte ich mich mit unterschiedlichen Kolleg*innen aus. David Grellscheid zum Beispiel, berichtete von seinen Bemühungen durch Vorträge und einen gemeinsamen Workshop mit Robert Kordts im Rahmen des UPED technische Missverständnisse in Bezug auf generative KI aufzuklären. Eine Herausforderung, die wir nur allzu gut aus Deutschland kennen und deren Lösung insbesondere auch für den kompetenten Umgang mit entsprechenden Tools zentral ist. 

Ein weiteres spannendes Gespräch zum Thema generative KI durfte ich mit Kenan Dikilitas führen. Er ist Professor am Department of Education und lehrt ebenfalls im Rahmen des UPED an der UiB unter anderem zum Thema generative KI in der Hochschullehre. Kenan betonte, dass der Umgang mit KI nicht nur technische, sondern vor allem metakognitive Kompetenzen erfordert. Lernende müssen ihr eigenes Denken im Zusammenspiel mit KI reflektieren können. KI-Kompetenz für das Lernen ist also weit mehr als der souveräne Umgang mit Tools. Insbesondere die Reflexion darüber, wie der Einsatz generativer KI den eigenen Lernprozess beeinflusst, ist für Lernende zentral. Dies müssen seiner Ansicht nach auch Lehrende verstehen, um ihre Studierenden bestmöglich zu unterstützen.

Auch auf institutioneller Ebene tut sich in Norwegen einiges: Kari Bjørgo Johnsen und Cecilie Boge vom Learning Lab berichteten von einer nationalen Kommission, die derzeit Leitlinien für den Einsatz von KI in der Hochschulbildung ausarbeitet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Norwegen kein Mitglied der Europäischen Union ist und somit der rechtliche Rahmen durch die KI-Verordnung nicht gegeben ist. Die Kolleginnen berichteten außerdem, dass Lehrenden und Studierenden der UiB der Zugang zu generativen Chatbots insbesondere über kommerzielle Anbieter ermöglich wird. Die Verfügbarmachung von selbst gehosteten Open-Source-Modellen wird weniger auf einer strategischen Perspektive als aufgrund Persönlicher- und Forschungsinteressen vorangetrieben.

Mit den die Kolleginnen Anja Jacobsen und Kristine Ludvigsen tauschte ich mich ebenfalls zum Umgang mit generativer KI an der HVL aus. Sie berichteten von Ergebnissen einer aktuellen Bedarfsumfrage mit Lehrenden der HVL um besser zu verstehen, welche Themen im Kontext KI sie aktuell besonders beschäftigt. Mit großem Abstand gaben die teilnehmenden Lehrenden an, das der Einfluss von KI auf Prüfungen sie besonders beschäftigt. Das kam mir bekannt vor. Generative KI ist an der HVL im hochschuldidaktischen Weiterbildungsprogramm durch regelmäßige Workshops im Wahlpflichtbereich verankert.

An beiden Hochschulen können Lehrende somit Weiterbildung zum Thema generative KI in der Hochschulbildung besuchen. An beiden Hochschulen erlangen sie dadurch nicht nur die notwendige KI-Kompetenz, sondern erarbeiten sich damit Credit-Points für das hochschuldidaktische Programm. Eine Win-Win-Situation.

Einen weiteren Schub dürfte die Auseinandersetzung mit generativer KI an der UiB durch das neu geförderte Artificial Intelligence Centre for the Empowerment of Human Learning (AI LEARN) erfahren, das mit rund 10 Millionen Euro vom Staat Norwegen gefördert wird. Mohammad Khalil und Kirsty Kitto vom Center for Science Learning and Technology (SLATE) berichteten mir hierzu, dass neben dem technischen Interesse, insbesondere Fragen der Beziehung von Mensch und Technologie, sowie der Praxistransfer der Forschungsergebnisse im Mittelpunkt der Projektarbeit stehen wird. Die Ergebnisse aus ihrer Arbeit dürften auch für Hochschulen in Deutschland interessant sein.

Künstliche Intelligenz in Studium und Lehre an der RUB
Auch an der RUB und am ZfW gibt es vielfältige Auseinandersetzungen zum Thema generative KI in der Hochschullehre. Informieren Sie sich gerne auf unserer Website zu dem Thema.

Bekannte Herausforderungen, Learning Analytics in die Praxis zu bringen

Während generative KI also auch in Norwegen ein akutes Thema in der Lehr- und Lernpraxis und Weiterbildung dazu ist, zeigt sich beim Thema Learning Analytics (LA) ein anderes, erneut ein bekanntes Bild. Im Gespräch mit Mohammad Khalil vom SLATE wurde deutlich, dass LA an der UiB zwar theoretisch gut verankert, in der Praxis aber dennoch kaum verbreitet ist. Die Herausforderung des Praxistransfers liege unter anderem darin, einen strategischen Changeprozess in der Lehre anzustoßen, da Kursmaterialien für LA in den Lernmanagementsystemen systematischer aufbereitet und quantitativ in größerer Zahl umgesetzt werden müssten. Ich sehe das ganz ähnlich und denke seit dem Austausch mit Mohammad darüber nach, ob LA sich erst in der Praxis etablieren kann, wenn sich eine Hochschule, bspw. in ihrem Leitbild Lehre, für den praktischen Einsatz von LA ausspricht. Andernfalls bleibt LA ggf. weiterhin auf der Stufe des theoretischen Potenzials und erreicht nur in einzelnen Lehrveranstaltungen von am Thema interessierten Lehrenden die Stufe des praktischen Mehrwerts für den akademischen Lernerfolg der Studierenden. Hier wird sich in den kommenden Jahren ein Blick zur Fernuniversität in Hagen lohnen, die im vergangenen Jahr eine Learning-Analytics-Ordnung verabschiedet hat und seit diesem Jahr im Rahmen der Lehrarchitekturförderung der Stiftung Innovation in der Hochschullehre Learning Analytics verstärkt in die Praxis bringen möchte.
Learning Analytics bei uns

Im Rahmen des landesgeförderten Projekts KI:edu.nrw beschäftigt sich auch das ZfW seit Ende 2021 mit Learning Analytics. Neben der Entwicklung einer technischen Infrastruktur für Learning Analytics beschäftigen wir uns insbesondere mit der didaktischen Bedeutung von Learning Analytics-Systemen.

Weitere Informationen finden Sie auf der Website des Projekts.

Land und Leute

Neben all den spannenden fachlichen Gesprächen blieb auch Zeit die Stadt Bergen und ihre Umgebung zu entdecken. Schon am Ankunftswochenende zeigte sich, warum Bergen regelmäßig zu den lebenswertesten Städten Europas gezählt wird: Die Nähe zum Wasser, die verwinkelten Gassen und das gelungene Zusammenspiel von Geschichte und Moderne schaffen eine Atmosphäre, die zum Erkunden einlädt.
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Ich konnte beispielsweise durch das Weltkulturerbe Bryggen schlendern, eine Fjord-Tour zum kleinen Örtchen Modalen genießen, gemeinsam mit Robert und den norwegischen Kolleg*innen abendessen oder in den Cafés bei Kaffee und traditioneller Skillingsbolle Notizen über die geführten Gespräche und Erfahrungen machen.
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Ein besonderes Highlight war der Aufstieg auf den Ulriken über 1333 Treppenstufen, extra gebaut von Sherpas aus Nepal. Oben angekommen bieten sich direkt zwei beeindruckende Perspektiven: der Blick über die Stadt, mit den Fjorden und den sechs anderen Berge, und der Blick über die Hochebene, mit ihren Grasflächen und Seen. Ein wunderbarer Ort, um Gedanken treiben zu lassen.
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Nicht in Norwegen, trotzdem schön
Für einige ist das Ruhrgebiet sicherlich weniger landschaftlich beeindruckend als die Fjord- und Berglandschaft in Bergen. Doch auch der Ausblick von der Terrasse der Roten Bete auf das Ruhrtal und ein Besuch des Kemnader Sees – gerne den Weg durch den Botanischen Garten nehmen – muss sich nicht verstecken und lädt zum Verweilen ein. Probieren Sie es doch einmal aus.

Fazit

Neben vielen konkreten Ideen für meine eigene Arbeitspraxis bleibt nach meiner Rückkehr der Eindruck einer Hochschullandschaft, die formal strukturiert und gleichsam experimentierfreudig ist. Ich kann für mich sagen, dass sich der Austausch absolut gelohnt hat, und würden immer empfehlen eine solche Möglichkeit zu nutzen. Der Blick über den Tellerrand bringt Impulse für die eigene Arbeit und kann Lösungswege für festgefahrene Probleme eröffnen. Nicht zuletzt haben wir als Angehörige der RUB beispielsweise über UNIC Kontakte zu spannenden Universitäten, die es sich lohnt zu besuchen!
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Jonas Leschke
Kennen Sie schon den Mobility Hub der Universitätsallianz UNIC?

Dieser bietet Ihnen als beschäftigte Person der RUB die Möglichkeit ein Job Shadowing an einer der Partneruniversitäten zu machen.

Hier finden Sie weitere Informationen zum Mobility Hub und hier einen Erfahrungsbericht zum Angebot von unserem Kollegen André Deutscher.

Bilder: Jonas Leschke
Kommentare

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  1. Jonas Leschke Author

    Absolutely for me too! And very informative.

  2. Thank you Jonas for this great write-up! i translated it to English 😀

    It was a pleasure meeting you and hope we catch soon!

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Jonas Leschke
Jonas Leschke ist Leiter der Stabsstelle Strategische Lehrprojekte hier im ZfW.

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