Hybride Gruppenarbeit – ›Lehre der Zukunft‹ oder didaktische Zumutung?

KI-generierte Darstellung: Sechs Personen sitzen mit Laptops an einem Tisch.
In vielen Lehrveranstaltungen sind Gruppenarbeiten längst fester Bestandteil des didaktischen Repertoires – sei es für die vertiefte fachliche Auseinandersetzung oder zur Förderung überfachlicher sowie sozialer Kompetenzen. Diese Selbstverständlichkeit verschwindet, wenn sich das klassische Setting ändert und nicht alle Mitglieder einer Gruppe im selben Raum sitzen. Wie kann Gruppenarbeit gelingen, wenn einige Studierende physisch anwesend sind, während andere online teilnehmen?
Spätestens seit der Pandemie rüsten zahlreiche Universitäten ihre Lehr- und Lernräume für hybride Szenarien nach. Hochschulleitungen sprechen hybrider Lehre zudem großes hochschulstrategisches Potential zu. Dennoch gilt sie im Alltag häufig als ›sperrig‹, technisch anspruchsvoll oder didaktisch umstritten.
Genau hier setzen Arlind Avdullahu und Sabine Schermeier vom Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie und Bildungstechnologie der RUB mit ihrer Forschung an: Wie kann hybride Gruppenarbeit so gestaltet werden, dass sie nicht nur funktioniert, sondern auch didaktisch überzeugt? Im Interview mit Robert Schütze, der am ZfW das Projekt "Lehrflächen der Zukunft" koordiniert, geben die beiden spannende Einblicke in ihre Arbeit – und zeigen, warum es sich lohnt, die Herausforderungen dieses Formats anzunehmen.
Denn so kompliziert hybride Szenarien auf den ersten Blick erscheinen mögen: Sie eröffnen didaktische und organisatorische Chancen.
Hybride Gruppenarbeit kann Studierende und Lehrende über Campusgrenzen hinweg verbinden – ob an einer Hochschule oder bei der Internationalisierung der Lehre. Sie steigert Flexibilität, fördert Inklusion und bereitet Studierende auf eine Arbeitswelt vor, in der hybrides Zusammenarbeiten längst zum Alltag gehört. Im Interview stellt sich heraus: Gelingende hybride Zusammenarbeit ist weit mehr als eine Frage der Technik.
Avdullahu und Schermeier plädieren dafür, hybride Lehrformate als soziotechnische Systeme zu denken. Worauf es ankommt, ist – jenseits guter Mikrofone und stabiler Internetverbindungen – die Gestaltung sozialer Interaktionen.
Die beiden Forschenden geben Einblicke in ihre neusten empirischen Studien – mit überraschenden Ergebnissen. So zeigte sich in einem kontrollierten Setting, dass hybride Gruppen in Bezug auf soziale Eingebundenheit und das Erleben sozialer Präsenz bei den beteiligten Studierenden ähnlich gut abschnitten wie reine Face-to-Face-Formate – ein Befund, der gängigen Vorannahmen widerspricht. Andere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Online-Teilnehmende sich tendenziell seltener und weniger einbringen und sich öfter isoliert fühlen. Hier braucht es gezielte didaktische Interventionen – von Kollaborationsskripten bis hin zu Reflexionsphasen.
Was können Lehrende konkret tun, damit hybride Settings funktionieren? Welche Rolle spielen dabei Moderation und Lehrplanung? Und wie lässt sich die Kluft zwischen Online- und Vor-Ort-Teilnehmenden verkleinern?
All das – und warum umsichtig geplante hybride Lehre trotz des höheren Aufwands sogar zum neuen Lieblingsformat werden kann – erfahren Sie in diesem Interview.
Lesen Sie weiter – und entdecken Sie, wie hybride Gruppenarbeit zu einer echten Chance für Lehre und Lernen wird.

Hybride Gruppenarbeit

Ein Gespräch zwischen Robert Schütze, Arlind Avdullahu und Sabine Schermeier

Robert Schütze:
Gruppenarbeitsphasen gehören zweifellos zum Standardrepertoire, wenn es darum geht, Studierende in Lehrveranstaltungen aktiv einzubeziehen. Hybride Lehre andererseits gilt vielfach als anspruchsvoll, technisch herausfordernd und lehrendenzentriert. Interessanterweise beschäftigt Ihr Euch in Eurer Forschung nun ausgerechnet mit hybrider Kleingruppenarbeit. Wie kommt das?

Sabine Schermeier:
Kleingruppenarbeiten sind in der Tat eine effektive Methode zur Aktivierung von Studierenden. Im Austausch mit Peers lernen Studierende, Argumente zu entwickeln, Fragen zu stellen und auf Beiträge anderer einzugehen. Im Idealfall verstehen sie durch das eigene Erklären Lerninhalte besser und ›tiefer‹, lernen kritisches Denken und entwickeln Problemlösekompetenzen. Und genau solche Kompetenzen sollen in einem Studium neben Fach- und Methodenwissen ja eben auch erlangt werden. Es spricht also vieles für Kleingruppenarbeiten.

In meiner Beratungspraxis stelle ich jedoch häufig fest, dass Lehrende Gruppenarbeiten nicht immer ganz unvoreingenommen gegenüberstehen. Gerade in Fächern mit einer hohen Stoffdichte befürchten sie, ihre Inhalte nicht unterzubekommen. Und natürlich bedeutet die Betreuung von Gruppenarbeit zusätzlichen Aufwand. Auch Studierende ziehen häufig frontale Lehrsettings vor, da sie annehmen, von Peers weniger zu lernen als im Austausch mit dem Experten bzw. der Expertin, was meist ein Trugschluss ist. Aufgrund dieser Ambivalenz finde ich Gruppenarbeiten schon mal per se spannend.

Robert Schütze:
Und an welcher Stelle kam für Dich die Hybridkomponente ins Spiel?

Sabine Schermeier:
Nun, das ist zum einen auf die veränderten Lehr-/Lernsettings während der Covid-Pandemie zurückzuführen. Ad hoc mussten Lehrveranstaltungen damals komplett remote oder in hybriden Szenarien geplant und durchgeführt werden. Das war alles andere als leicht, hat aber auch gezeigt, welches Potenzial hybrides Lernen haben kann. Denn die Chance, Lernende vor Ort mit Online-Lernenden zusammenzubringen, erhöht die Flexibilität und Inklusivität von Lernanlässen enorm. Darüber hinaus ist hybride Zusammenarbeit nicht nur im Studium, sondern auch danach relevant. Denn das Kooperieren in hybriden Settings ist auch an vielen Arbeitsplätzen selbstverständlich geworden.

Trotz all dieser Chancen sieht die Lehrpraxis an den Hochschulen nicht so ›hybrid‹ aus, schon gar nicht, wenn es um hybride Gruppenarbeiten geht. Schauen wir in die Forschung zum Computerunterstützten kooperativen Lernen – im Englischen meist als CSCL, für Computer-supported collaborative learning, abgekürzt: Dann zeigt sich, dass  computergestütztes Kooperieren ohnehin schon einen ganzen Blumenstrauß an Herausforderungen birgt. Wenn nun auch noch einige Lernende vor Ort und andere zugeschaltet sind, macht das die Situation nicht leichter: So stellt sich zum Beispiel die Frage, wie sich ein hybrides Format darauf auswirkt, ob Lernende sich sozial eingebunden fühlen. Oder was es für deren Zufriedenheit bedeutet. Solche sozio-affektiven Aspekte werden in der Forschung häufig ein wenig vernachlässigt, obwohl sie starken Einfluss auf den Erfolg oder Misserfolg eines Lernformats haben können. Daher richte ich in meiner Forschung genau auf solche Konstrukte den Blick.

Arlind Avdullahu:
Wir wissen beispielsweise, dass besonders Online-Teilnehmende sich in Hybridveranstaltungen oft isoliert fühlen, weil soziale Interaktion beim hybriden Zusammenarbeiten schwieriger herzustellen ist. Mein Ansatz ist es deshalb, hybride Lernsettings nicht nur als technische, sondern als soziotechnische Systeme zu betrachten. Das bedeutet: Der Schlüssel zum Erfolg liegt nicht allein in der Technik, sondern in der Gestaltung sozialer Interaktion. Mich treibt hier vor allem um, wie wir es hinbekommen, kollaboratives Lernen so zu arrangieren, dass hybride Formate einfacher, effektiver und schließlich für Lehrende zugänglicher werden. Da wollen wir gern praxisnahe Lösungen bereitstellen, die Vorbehalte abbauen und hybrides Lernen dauerhaft verbessern. Gezielte Designprinzipien, die in den CSCL-Methodenkasten greifen oder auch KI-Unterstützung einbeziehen, sind an dieser Stelle ein wichtiger Hebel.

Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie schnell Lehrformate von Vor-Ort-Präsenz auf Online-Lehre umgestellt werden mussten. Nach der Pandemie lief es dann rasch auf die Frage hinaus: Wollen wir einfach zurück zur reinen Präsenzlehre – oder können wir das Beste aus beiden Welten kombinieren? Wie Sabine schon sagte, hat hybride Lehre da einiges für sich: Sie ermöglicht mehr Flexibilität, ortsunabhängige Teilhabe und ist insofern gerade unter Inklusionsgesichtspunkten ein vielversprechendes Format.

Robert Schütze:
Ich frage mich, ob diese sozio-technischen und sozio-affektiven Aspekte, die ihr stark macht, vielleicht auch deshalb gern vernachlässigt werden, weil der Begriff ›hybride Lehre‹ leidlich unscharf ist. In der Wahrnehmung vieler Lehrender ist er nach meinem Eindruck stark verknüpft mit sogenannten ›Hyflex‹-Formaten: Studierende entscheiden sich spontan, ob sie in den Seminarraum/Hörsaal kommen – oder sich per Videokonferenz ›zuschalten‹. Hohe Flexibilität, geringe Verbindlichkeit. Allein der Begriff des ›Zuschaltens‹ spricht da Bände. Er suggeriert, dass ich mich gleichsam ›von außen‹ in ein Setting einklinke, während die Musik ›eigentlich‹ woanders spielt, nämlich im physischen Raum. Wer per Videokonferenz bei einem Kurs mitmischt, steht so von Vornherein im Verdacht, bloß passiv zuzuhören, schlimmstenfalls nur Zaungast zu sein. Dieser ›dichotomische‹ Blick auf Studierende im physischen und im digitalen Raum führt oft auch zu Entweder-Oder-Entscheidungen in der Lehrplanung. Entweder ich halte meinen Kurs komplett online ab – oder alle treffen sich vor Ort im Seminarraum. Entweder ich zeichne meine Vorlesung auf – oder alle sitzen zur selben Zeit gemeinsam im Hörsaal. Müssen wir hybride Lehre nicht sehr viel umfassender denken, als es die Logik des ›Zuschaltens‹ nahelegt? Und uns vor allem fragen, welche guten Gründe es dafür geben kann, dass einige Studierende eines Kurses tatsächlich in den Seminarraum kommen, während andere gleichzeitig online mitmachen? In welchen Situationen kann diese Mischung gerade auch didaktisch sinnvoll sein?

Arlind Avdullahu:
Da stimme ich Dir zu: Hybride Lehre ist weit mehr als das bloße ›Zuschalten‹ von Teilnehmenden. Wenn wir hybride Lehrformate nicht ausschließlich aus technischer Perspektive, sondern als soziotechnische Systeme begreifen, stellen wir uns plötzlich ganz andere Fragen: Wir überlegen, wie soziale Interaktionen durch den Einsatz von Technik gefördert werden können – und nicht nur, wie es uns gelingt, Technik bereitzustellen, damit  Studierende sich online ›zuschalten‹ können.

Aus didaktischer Sicht sehe ich da einen klaren Mehrwert. Nicht zuletzt trägt hybride Zusammenarbeit langfristig dazu bei, Studierende auf die moderne Arbeitswelt vorzubereiten. In Unternehmen sind hybride Meetings mittlerweile weit verbreitet, sodass Mitarbeitende – beispielsweise bei Reiseausfällen – trotzdem flexibel teilnehmen können. Zudem erwerben Studierende durch hybride Lehrformate wichtige Kompetenzen: Sie erlernen den Umgang mit Videokonferenz-Tools, Protokoll-Software oder digitalen Whiteboards. Und sie entwickeln die Fähigkeit, in virtuellen und hybriden Settings effektiv zu kommunizieren. Kurz gesagt: Hybride Lehre fördert essenzielle Schlüsselkompetenzen.

Wenn wir ernst nehmen, dass Studierenden mit teils sehr unterschiedlichen Hintergründen und in teils sehr unterschiedlichen Lebenslagen an die Universität kommen, sieht man leicht, dass es für die Mischung aus Präsenz- und Online-Teilnahme gute Gründe gibt: Viele Studierende schätzen die soziale Präsenz im Seminarraum, da sie nonverbale Signale wie Gestik und Mimik besser wahrnehmen können. Gleichzeitig bietet die Möglichkeit, flexibel online teilzunehmen, große Vorteile – das Studium lässt sich besser mit privaten Terminen vereinbaren, auch Anfahrtszeiten zur Universität fallen manchmal weg. Im besten Fall können Studierende ihre Zeit dadurch effizienter planen und dennoch aktiv am Kursgeschehen teilnehmen.

Sabine Schermeier:
Das sehe ich ganz ähnlich. Tools dienen lediglich als Hilfsmittel, um Vor-Ort- und Online-Lernende überhaupt ›zusammenzubringen‹. Wenn man sich als Lernende:r in einer Lehrveranstaltung dazuschaltet, sollte das nicht einfach nur bedeuten, dass es eine (womöglich gar schwarze) Kachel mehr in Zoom gibt. Damit auch Online-Lernende aktiv dabei sind, bedarf es geeigneter Aktivierungsmethoden. Lehrende müssen ihre Veranstaltung didaktisch stimmig planen, damit sie in hybriden Settings funktioniert. Denn gerade bei Gruppenarbeiten gilt es, viele verschiedene Schauplätze zu koordinieren. Das kann den Druck auf die Lehrenden, den ›Teacher Orchestration Load‹, enorm erhöhen. Wichtig ist hier, dass Lehrende geeigneten technischen und didaktischen Support durch die Hochschule bekommen.

Robert Schütze:
Und diese Hürde kann man ja durchaus ein wenig ›absenken‹. Im Projekt »Lehrflächen der Zukunft« zum Beispiel arbeiten wir gerade daran, die räumlichen Voraussetzungen für kollaboratives Arbeiten zu verbessern. Manchmal kommt einem bei Gruppenarbeiten nämlich schlicht der Raum in die Quere – sei es der physische oder eben der hybride. Gleichzeitig ist klar: Tolle Lernumgebungen mit ausgefeilter Hybridtechnik führen nicht ›automatisch‹ zu inspirierenden Lernerlebnissen oder gelungenen Lehrveranstaltungen. Vieles hängt an didaktisch umsichtiger Planung, oft an Enthusiasmus und Experimentierfreude der Lehrenden. Was habt ihr denn im Rahmen Eurer Forschung über hybride Gruppenarbeit herausgefunden? Fühlen sich Studierende auch in hybriden Settings ähnlich sozial eingebunden wie in anderen Gruppenarbeitsformen? Und wenn, wie Arlind es vorhin angedeutet hat, tatsächlich die Gefahr besteht, dass sich Online-Lernende schneller ›isoliert‹ fühlen: Was können Lehrende dann dazu beitragen, dass alle Studierenden sich in hybriden Settings gut einbringen können – unabhängig davon, wo sie gerade sitzen?

Arlind Avdullahu:
Bewährt haben sich vor allem Unterstützungsmaßnamen, die wir aus der CSCL-Forschung zur reinen Vor-Ort-Zusammenarbeit und zur reinen Online-Zusammenarbeit kennen: In meinen Studien habe ich unter anderem mit hybriden Kleingruppen im Universitätskontext gearbeitet. Wir hatten beispielsweise drei Studierende vor Ort und zwei weitere, die online teilnahmen. Dabei hat sich gezeigt, dass es hilfreich ist, Arbeitsphasen stärker zu strukturieren, etwa durch sogenannte Kollaborationsskripte. Diese Skripte stellen Lehrende ihren Studierenden vor und während der Zusammenarbeit zur Verfügung. Studierende bekommen damit Orientierung, wo sie sich im Arbeitsprozess gerade befinden, an welchen Aufgaben sie arbeiten, was konkret zu tun ist, um eine Arbeitsphase abzuschließen, und insbesondere, wie alle Teilnehmenden in den Arbeitsprozesse einbezogen werden sollen – was ja gerade für die Online-Teilnehmenden sehr wichtig ist. Außerdem sollten Zeiträume zur kollaborativen Reflexion eingeplant werden: Hier helfen Fragebögen oder Tools wie Mentimeter, mit denen Studierende sich noch während der laufenden Sitzung darüber verständigen, wie das gemeinsame Arbeiten gerade läuft und wo es vielleicht noch hakt. Mit solchen Hilfsmitteln können wir versuchen, eine ausgeglichene inhaltliche Kommunikation sicherzustellen, das ›Isolationsgefühl‹ der Online-Teilnehmenden zu minimieren und letztlich die Kluft zwischen Vor-Ort- und Online-Teilnehmenden zu verringern.

Robert Schütze:
Wenn Du von ›verringern‹ sprichst, bedeutet das, dass die »Kluft« nie ganz verschwindet?

Arlind Avdullahu:
Zumindest unsere quantitativen Analysen legen das nahe. Als wir die Anzahl und Dauer der inhaltlichen Redebeiträge in unseren Versuchen analysierten, bemerkten wir eine statistisch signifikante Ungleichheit zwischen den beiden Gruppen. Studierende vor Ort beteiligten sich signifikant häufiger und ausführlicher an der Problemlösung. Die sozialen Unterstützungsmaßnahmen führten zwar zu einer Verringerung dieser Kluft, waren jedoch statistisch nicht signifikant. Das verdeutlicht: Wir haben hier noch erheblichen Forschungsbedarf. Vor allem loten wir weitere technische Optimierungen aus – und zusätzliche soziale Interventionsmaßnahmen. Der Einsatz generativer KI könnte zum Beispiel eine vielversprechende Möglichkeit sein, um die Interaktion zwischen den Gruppen weiter zu verbessern und auf Gruppendynamiken adaptiv reagieren zu können.

Außerdem habe ich häufig die Rückmeldung bekommen, dass die Moderation eine entscheidende Rolle in hybriden Lernsettings spielt. Eine moderierende Person kann gezielt darauf achten, dass sowohl die Vor-Ort- als auch die Online-Teilnehmenden gleichermaßen in die Zusammenarbeit eingebunden werden. Hier sehe ich die Chance, dass gerade Lehrende diese Rolle aktiv übernehmen. Durch gezielte Impulse und eine bewusste Gesprächsführung können sie unterstützen, dass sich alle Studierenden gleichberechtigt in Hybridsettings einbringen.

Robert Schütze:
Ergänzend zum Blick auf die Redeanteile liegt die Frage nahe, wie Studierende selbst eigentlich das soziale Miteinander in verschiedenen Gruppenarbeitsformen wahrnehmen. Gibt es da belastbare Unterschiede zwischen Gruppenarbeiten im geteilten physischen Raum, reinen Online-Kollaborationen und hybriden Spielarten?

Sabine Schermeier:
Genau an diesem Punkt habe ich in meiner Forschung angesetzt – und zwar in einem kontrollierten Laborexperiment mit 180 Teilnehmenden. Es ging darum herauszufinden, inwiefern sich verschiedene Gruppenarbeitsformate in sozio-affektiver und motivationaler Hinsicht voneinander unterscheiden. Ganz konkret habe ich drei Formate miteinander verglichen: Einmal das hybride Format, bei dem zwei Lernende gemeinsam in einem Raum sitzen und eine Person per Zoom zugeschaltet ist. Dann das Online-Format, bei dem drei Personen physisch voneinander getrennt sitzen und ebenfalls per Zoom kooperieren. Und zu guter Letzt das klassische Face-to-Face-Format. Die Aufgabe der Kleingruppen bestand darin, nach einer kurzen Lesephase gemeinsam einen fiktiven Kriminalfall zu lösen.

Nach der Gruppenarbeit bewerteten die Teilnehmenden anhand eines Fragebogens, wie sie zum Beispiel ihre soziale Eingebundenheit und die soziale Präsenz empfunden haben, wobei ›soziale Präsenz‹ beschreibt, wie sehr die Studierenden ein Gruppenmitglied als ›echte Person‹ wahrnehmen. Das Ergebnis war verblüffend: Denn erstaunlicherweise schnitten das hybride Format und das Face-to-Face-Format in unseren quantitativen Analysen ähnlich gut ab. Recht weit abgeschlagen lagen jedoch die Einschätzungen der Teilnehmenden des reinen Online-Formats. Sie fühlten sich weitaus weniger gut eingebunden in die Gruppe. Das weicht zunächst einmal von bisherigen Forschungserkenntnissen zu hybriden Gruppen ab. Häufig berichtet die Forschung nämlich von einem Gefühl der Isoliertheit auf Seiten der online Teilnehmenden in hybriden Gruppen.

Robert Schütze:
Habt ihr eine Hypothese, wie die Abweichung zustande kommt?

Sabine Schermeier:
Zunächst zeigt sie, dass hier noch vieles offen ist. Wir fragen uns zum Beispiel, ob der recht positive Trend des hybriden Formats eventuell darauf zurückzuführen ist, dass die Gruppenarbeit in unserer Studie in einem sehr kontrollierten Setting stattgefunden hat. In zukünftigen Studien möchten wir uns deshalb anschauen, wie sich andere Gruppengrößen und -konstellationen oder eine komplexere Aufgabestellung auf die Einschätzung der Lernenden auswirken. Aus den so gewonnenen Erkenntnissen lassen sich dann sicherlich Empfehlungen dafür ableiten, welche Rahmenbedingungen förderlich für hybride Kleingruppenarbeiten sind.

Robert Schütze:
Auch wenn aus Forschungssicht noch reichlich Klärungsbedarf besteht und die Befunde zu hybrider Gruppenarbeit vorläufig ›gemischt‹ ausfallen: Gibt es etwas, das ihr Lehrenden, die mit dem Gedanken spielen, eine hybride Verantsaltung abzuhalten, mit auf den Weg geben möchtet?

Sabine Schermeier:
Ich würde das empfehlen, was ich Lehrenden bei der Planung von Veranstaltungen immer rate, wenn sie ein neues Format oder eine neue Methode ausprobieren: Sie sollten die Studierenden mit ins Boot holen. Ich halte es für wichtig, den Teilnehmenden erst einmal zu erläutern, warum die Veranstaltung hybrid stattfinden soll, was also der Mehrwert ist. Vielleicht möchte man die Kooperation mit Studierenden einer anderen Universität ermöglichen oder mit internationalen Expert*innen.

Arlind Avdullahu:
Genau. Wichtig ist es, dabei nicht aus den Augen zu verlieren, dass es nicht ausreicht, lediglich einen Kommunikationskanal zwischen Präsenz- und Online-Teilnehmenden bereitzustellen. Klar, das Funktionieren der technischen Komponenten – guter Ton, gutes Bild – ist die Grundlage. Zusätzlich sollten Lehrende aber aktiv darauf achten, ein Gleichgewicht zwischen den Präsenz- und Online-Teilnehmenden zu schaffen. Dabei werden sie eine Art Moderationsrolle einnehmen müssen, um besonders die Online-Teilnehmenden gezielt einzubinden. Die Kluft zwischen Präsenz- und Online-Studierenden lässt sich selbst mit der besten Technik nicht vollständig überwinden. Doch wenn es uns gelingt, die soziale Komponenten zu fokussieren, können wir einen echten Mehrwert für alle Studierenden schaffen.

Sabine Schermeier:
Um gut in diese Moderationsrolle zu kommen, ist es insbesondere für ›Neulinge‹ empfehlenswert, sehr konkret zu planen, zum Beispiel mit einem Planungsraster, in das sie die einzelnen Lernphasen, Lernaktivitäten und Timings eintragen. In ein solches Planungsraster könnte man dann auch regelmäßig aktivierende Elemente aufnehmen, die dazu beitragen, alle Teilnehmenden gleich stark einzubeziehen.

Zu guter Letzt sollten Lehrende versuchen, sich Unterstützung zu holen – sei es durch studentische Tutor*innen oder auch interessierte Teilnehmende der eigenen Veranstaltung, die kleine Aufgaben übernehmen, wie zum Beispiel den Chat in einer Zoom-Sitzung zu moderieren. Auch die Unterstützungsangebote und Workshops der Hochschule sind eine tolle Möglichkeit, Tipps von Expert*innen zu bekommen und Erfahrungen mit anderen Lehrenden auszutauschen.

Zu den Personen

Arlind Avdullahu
Arlind Avdullahu ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie und Bildungstechnologie sowie Doktorand an der Fakultät für Informatik an der Ruhr-Universität Bochum. In seiner Forschung befasst er sich mit der Frage, wie hybrides Zusammenarbeiten sowohl für Vor-Ort- als auch für Online-Teilnehmende gleichermaßen erfüllend und wirksam gestaltet werden kann. E-Mail: arlind.avdullahu@ruhr-uni-bochum.de
Sabine Schermeier
Sabine Schermeier ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie und Bildungstechnologie sowie Doktorandin im Forschungsprogramm Bildungstechnologien und künstliche Intelligenz des Center for Advanced Internet Studies. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit kollaborativen Lernszenarien in hybriden Settings. Parallel ist sie an der HafenCity Universität Hamburg beschäftigt. Zu ihren Aufgaben gehören hier die mediendidaktische Beratung und die Konzeption von Workshops für Lehrende sowie die Begleitung von Projekten der Hamburgweiten Initiative Hamburg Open Online University.  Darüber hinaus ist sie Mitautorin des Online-Angebots Digitaler Freischwimmer, das Tipps und Good Practices für Hochschullehrende präsentiert. E-Mail: sabine.schermeier@cais-research.de
Robert Schütze
Robert Schütze koordiniert seit 2024 "Lehrflächen der Zukunft". Gemeinsam mit allen Projektbeteiligten konzipiert er zukunftsorientierte Lehrräume und Lernorte für die RUB, organisiert die Einrichtung von Modellräumen, berät aus didaktischer Sicht bei den Bauvorhaben der Campussanierung und sorgt vor allem dafür, dass Studierende und Lehrende in partizipativen Formaten den RUB-Campus der Zukunft mitgestalten können. Vor seiner Zeit am ZfW hat er an der RUB in der Neueren deutschen Literaturwissenschaft geforscht und gelehrt. | E-Mail: robert.schuetze@rub.de

Bildnachweis:
Titelbild: adobe express, KI-generiert
Alle anderen Bilder mit freundlicher Genehmigung der abgebildeten Personen

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Robert Schütze koordiniert das Projekt "Lehrflächen der Zukunft".

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